vergriffen

Interview

Textauszug

Eva Schmidt
J.Krb.: Biografische Daten: 1957 in Hannover geboren, 1977 bis 1983 Studium der Kunstwissenschaft, Medienwissenschaft und Philosophie an den Universitäten Osnabrück, Heidelberg und Hamburg. 1989 Promotion mit der Arbeit »Zwischen Kino, Museum und Landschaft – Erfahrung und Fiktion bei Robert Smithson«. 1990 bis 1992 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Westfälischen Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte in Münster. Du kuratiertest dort Ausstellungen mit Maria Nordman, Reiner Ruthenbeck, Olaf Metzel und Rémy Zaugg. Von 1993 bis 2003 Direktorin der Gesellschaft für Aktuelle Kunst (GAK) in Bremen. 2001 mit dem Adam Elsheimer-Preis für die programmatische Arbeit der Gesellschaft für Aktuelle Kunst ausgezeichnet. Seit 1. August 2004 Direktorin des Museums für Gegenwartskunst in Siegen. Vom Westfälischen Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte zur Gesellschaft für Aktuelle Kunst und von dort zum Museum für Gegenwartskunst. Unterschiedliche Arbeitsfelder, aber überall steht die Kunst im Vordergrund. Was fasziniert Dich an der Kunst?

E.Sch.: Genauer gesagt, ist es die Gegenwartskunst, die meine beruflichen Stationen verbindet. Kunst fasziniert mich, weil sie nicht theoretisch ist – sie arbeitet mit Materialien, Farben, Formen, mehr oder weniger konzeptuell, sie spricht den Menschen an, Körper, Geist und Sinne. Es ist total spannend, wie seismographisch Kunst in ihrer jeweiligen Zeit agiert.

J.Krb.: Als Direktorin der Gesellschaft für Aktuelle Kunst realisiertest Du sowohl monografische Ausstellungen z. B. mit Alfredo Jaar, Dieter Kiessling, Öyvind Fahlström, Peter Doig, Terry Fox, Tracey Emin, Jimmie Durham, Ayse Erkmen, Peter Friedl, John Bock, Daniel Richter sowie Bojan Sarcevic als auch thematische Ausstellungen wie »Do All Oceans Have Walls?« (1998), »Niemand ist eine Insel« (2003), jeweils in Kooperation mit Horst Griese, »City Stripping - Achim Bitter, Ania Corcilius, Paula Roush« (2001). Oftmals Ausstellungen, die um die Frage nach den Wirkungsmöglichkeiten von Kunst im öffentlichen Raum kreisen. In welcher Weise hat Dich die Arbeit in der GAK geprägt?

E.Sch.: Wenn es um Kunst im öffentlichen Raum geht, hat mich viel geprägt. So zum Beispiel meine Auseinandersetzung mit Robert Smithson für meine Promotion. Smithson war einer der ersten, die den »White Cube« verließen, um an anderen Orten künstlerisch zu arbeiten. Bei ihm spielte aber immer gedanklich die Beziehung zwischen »Ort« in der Landschaft und »Nichtort« im Museum eine wesentliche Rolle, eine Idee, die man auch auf Kunst im Stadtraum übertragen kann. Dann habe ich drei Jahre am Landesmuseum in Münster gearbeitet – obwohl ich nie an einer Skulptur Projekte Ausstellung beteiligt war, so war doch die Zeit in Münster – zwischen zwei Skulptur Projekten – sehr stark mit der historisierenden Aufarbeitung der Projekte von 1977 und 1987 geprägt. Dann kam ich an die GAK. Die Situation der Weserburg, in deren stadtzugewandtem Erdgeschossflügel die GAK untergebracht ist, ist atmosphärisch sehr beeindruckend. Inmitten des Flusses, einst am Übergang zwischen Stadt und Hafen gelegen – nach dem Niedergang des Hafens und der Ausweitung der Stadt Richtung Westen, ist die Weserburg nun inmitten des städtischen Zentrums gelegen. Es lag damals (und liegt heute noch) nahe, an diesem Ort inmitten der strukturellen Umwandlungen einer ehemaligen Hafenstadt, sich mit künstlerischen Projekten urbanistisch einzumischen. Dies wurde auch angeregt durch die Präsenz des einmaligen Bremer Programms Kunst im öffentlichen Raum seit den 1970er Jahren. Es war für mich eine Herausforderung, immer wieder künstlerische Positionen zu entdecken. Die GAK hat im Feld der Bremer Kunstinstitutionen die Funktion des Widerspruchs. Hier in Siegen bin ich nun für die Verankerung eines Kunstmuseums mit Sammlung und Wechselausstellung in einer Stadt und einer Region verantwortlich. Das ist eine andere Aufgabe und ein ebenso spannendes Ziel. Das Museum ist erst zwölf Jahre alt, so ist die Aufgabe immer noch geprägt von einer Stimmung des Neuen.

J.Krb.: Den Museen wird vorgeworfen, Aufbau, Präsentation, Forschung und Pflege der Sammlung zu vernachlässigen, stattdessen zu sehr auf Zeitgenossenschaft zu zielen, von Blockbuster zu Blockbuster zu eilen und sich in Abhängigkeit von Sammlern zu begeben. Diese Entwicklung hat den Museen zwar Besucherzahlen beschert, aber sie haben sich von ihrer eigentlichen Aufgabe mehr und mehr entfernt. Wie bestimmst Du Aufgabe und Funktion eines Museums?

E.Sch.: Museen sind Archive, (Kunst-)museen betreuen die Kunst der verschiedenen Jahrhunderte. Und machen das Spagat, die Jetztzeit zu erfassen und relevante künstlerische Positionen zu ergänzen. Die historischen Positionen einer musealen Sammlung werden permanent nach ihrer Relevanz für uns heute befragt. Ich denke, es wird sich zukünftig rächen, wenn man die Sammlungspflege vernachlässigt (vernachlässigen muss). Es sieht so aus, als ob das Feld sich ausdifferenziert – große Supermuseen mit extrem aktiver breiter Sammlungstätigkeit (Tate Gallery, Moma, Centre Pompidou usw.), dann kleine und mittlere Museen, die einen sind in der Lage, zu sammeln, aber andere haben eine hervorragende historische Sammlung, die aber jetzt statisch ist, weil nicht so intensiv weitergesammelt werden kann - und dann gäbe es noch eine weitere Variante - kleine und mittlere Museen, die ihr Sammlungsgebiet sehr genau, relativ eng definieren und hier ein Alleinstellungsmerkmal haben. Damit spielen sie im Feld der Forschung weiterhin eine Rolle. Museen sammeln, weil sie mit den Exponaten nicht nur Sammlungspräsentationen bestücken wollen, sondern weil sie mithilfe ihrer Sammlung forschen wollen.

J.Krb.: »Museum für Gegenwartskunst« lautet der Name der Institution. Für viele Menschen passt Gegenwartskunst nicht in ein Museum, eine Institution, der oftmals Adjektive wie verstaubt, behäbig, brav zugeschrieben werden. Im Gegensatz zu vielen anderen Museen liegt hier der Focus nicht auf der Kunst mehrerer Jahrhunderte, sondern auf Kunst der Gegenwart. In welcher Weise können sich bei dieser Schwerpunktsetzung Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aufeinander beziehen?

E.Sch.: Wenn ein Museum 2001 gegründet wird, kann man ja kein Universalmuseum gründen, es fehlte ja der sammlungsgeschichtliche Hintergrund völlig. Also nennt man das Museum programmatisch Museum für Gegenwartskunst, mit der langfristigen Perspektive, dass die Sammlung eine historische Dimension bekommt – in hundert Jahren hat das Museum für Gegenwartskunst eine Sammlung des 20. und 21. Jahrhunderts, ständig ergänzt durch die aktuelle Kunst.

J.Krb.: Kunstwerke sind stets Medium der gedanklichen Reflektion und bieten gleichermaßen sinnlichen Genuss. Bist Du optimistisch, dass die Aura des Originals auch künftig Relevanz besitzt, dass sie weiterhin die Lust am Schauen bestimmt. Sind die Museen in ihrer heutigen Form Auslaufmodell oder werden sie umso wichtiger als Gedächtnisspeicher in unserer schnelllebigen Zeit, umso wichtiger in einer virtueller werdenden Welt?

E.Sch.: Die Museen werden immer wichtiger. Außerdem erfinden die Museen sich immer wieder neu auf der Basis von einigen Invariablen. Daran mitzuarbeiten, ist für mich spannend. Ich bin optimistisch.

Joachim Kreibohm