vergriffen

Portrait

Zürich 1 – 3, 2011, Mixed Media, Format variabel, Courtesy Galerie Mark Müller, Zürich, Foto: Conradin Frei

Textauszug

Martín Mele
Man muss Martín Mele schon etwas besser kennenlernen, um hinter der wechselhaften Gestalt seiner Arbeiten den Künstler zu fassen zu bekommen. Nicht nur darin erinnert der 1960 in Buenos Aires geborene Kosmopolit an den großen Strategen Marcel Duchamp. Nur dass Martín Mele vermutlich gar kein Stratege ist. Bei aller Präzision im Detail leistet er sich den Luxus einer spielerisch und situationsbedingt generierten Form. Das ist nicht unbedingt förderlich zur Etablierung einer für den Markt schnell wiedererkennbaren Handschrift. Dazu kommt eine Vorliebe für das Lapidare. Selbst der Begriff »arme Materialien« wirkt aufgeblasen angesichts des Sammelsuriums aus altem Nippes, Verpackungsmaterial und Plastikmüll, das er bei seinen Performances in Müllsäcken bereithält, um es mit Hilfe von reichlich Klebeband in ephemere skulpturale Gebilde zu verwandeln.

Dennoch wäre es ein großes Missverständnis, hinter Meles Kommentaren zur Kunstgeschichte eine despektierliche Haltung zu vermuten. Er wendet sich den Abstraktionen der Heroen und Heroinnen Picasso, Brancusi, Max Ernst oder Barbara Hepworth mit der gleichen Neugier zu wie den vielfältigen Mutationen der Konsumgüter. Aber wer oder was hebt einen Gegenstand aus der Banalität heraus und überführt ihn in eine Sphäre der Bedeutungen und Leidenschaften? Auch wenn Martín Mele seine Rolle als Künstler und Maß aller Dinge immer wieder in den Titeln oder im eigenen, »künstlerisch« gestalteten Namenszug thematisiert, bleibt die Antwort ambivalent. Natürlich ist es der Künstler, der die Dinge aus der Unsichtbarkeit hervorholt. Aber auch er ist kein autonomes Wesen.

2011 treibt Martín Mele die Aufsplitterung der Künstlerpersönlichkeit in der Kofferperformance I und II weiter, bei der er zwei Assistenten hinzuzieht. Sie findet im Rahmen der Ausstellung »Identikit« bei Mark Müller in Zürich statt. Alle drei Personen treten, wie es bei Mele üblich ist, im Anzug auf. Jeder hat drei Koffer vor sich, deren Inhalt – Spielzeug, kleine Kunstobjekte à la Mele, Gegenstände aus Glas und anderen Krimskrams – er sorgsam zu einem privaten Altärchen aufbaut. Der Inhalt der Koffer ist nicht identisch, aber ähnlich. Ähnlich, aber nicht identisch sind auch die drei Personen, ihre Bewegungen, ihre Auswahl, ihr Zögern und ihre plötzliche Entschlossenheit. Beim zweiten Teil der Performance packen Mele und seine beiden Doubles die Dinge wieder ein und breiten sie in anderer Weise wiederholt aus. Zurück bleiben Arrangements, die so wohlüberlegt wie flüchtig sind und viel von der Anpassungsfähigkeit des Menschen als ewigen Exilanten verraten. Trotz ihrer teilweisen Dürftigkeit verbirgt sich in diesen zurückgelassenen Dingen eine ganze Existenz. Die Hinterlassenschaft einer Person bezeugt ihr gestaltendes Eingreifen in ihre Umgebung, ihr »Ich war hier«.

Sabine Elsa Müller