vergriffen

Essay

Yael Bartana, »Zwei Minuten Stillstand«: Impulse Theater Biennale 2013, Foto: © Robin Junicke

Textauszug

»Yes, we can – zur Kraft politischer Performances«
Die 2008 in Kiew gegründete feministische Aktivistinnen-Gruppe »Femen« war letztes Jahr bei dem »Steierischen Herbst«, einem der bedeutendsten Kunstfestivals Europas, mit einer Aktion vertreten. Auch die US-amerikanische Gruppe »Occupy Museum« war auf dem Festival dabei, das zudem mehrere Solidaritätsadressen für die russische Formation »Pussy Riots« unterschrieb. Mit gutem Grund, denn in den letzten Jahren hat sich die Grenze von politischer Aktion und künstlerischer Performance wieder immer mehr aufgelöst. Hat doch z. B. schon die »Guerrilla Art Action Group« selbiges in den frühen 1970 er Jahren vor allem in New York praktiziert. So wie die »Femen« mit ihren barbusigen Aktionen gegen die Unterdrückung der Frau künstlerische Momente nutzen, etwa einen körperbetonten Einsatz, der schon in Happenings von Yves Klein wichtig war, so nutzen heute umgekehrt namhafte Künstler und Künstlerinnen aktivistische bzw. politische Strategien für ihre Performances. Warum aber ist es ausgerechnet die Performance, die heute im Mittelpunkt der politischen Kunst zu stehen scheint? Nicht zuletzt wohl, weil sie sich konsequent der Produktion von Dingen, potenzieller Waren also, verweigert und zudem oftmals die Kraft besitzt, die Kunst partizipativ, wenn man so will: »basisdemokratisch«, zu öffnen.

Politisierung kann es nicht ohne konfliktvolle Darstellung der Welt mit gegnerischen Lagern geben«, betont die französische Philosophin Chantal Mouffe immer wieder. In diesem Sinne inszeniert die israelische Künstlerin Yael Bartana in ihrer künstlerischen Arbeit so widerspruchsvolle wie provokative Szenarien, etwa ihr Projekt »Jewish Renaissance Movement in Poland«, in dem sie drei Millionen Juden dazu auffordert »nach Polen zurückzukehren«. So kann die Geschichte und Gegenwart neu und kontrovers gelesen werden. Im Rahmen des diesjährigen Theaterfestivals »Impulse« in Köln startete Bartana nun ihre Aktion »Zwei Minuten Stillstand«, 2013. Die Künstlerin forderte die Bewohner der Domstadt mit dem Slogan »Halt an und denke« dazu auf, am 28. Juni um 11 Uhr mittags für zwei Minuten am Kölner Roncalliplatz vor dem Kölner Dom und in der Keupstraße stillzustehen, um sich an den Holocaust zu erinnern und um der Opfer faschistischer Bewegungen zu gedenken. Dort ereignete sich in der türkischen Community ein Mord der rechtsnationalen Gruppe NSU. Bei strömendem Regen standen nun um ein monochrom weißes, überdimensioniertes, auf den Boden gemaltes Stoppschild an diesen beiden Orten hunderte von Menschen und schwiegen.

Raimar Stange