Interview

Saskia Draxler und Christian Nagel, Courtesy of Galerie Nagel Draxler Berlin Köln München, Foto: Steffen Roth. Linkes Bild im Hintergrund: Christine Wang,
The Promise, 2019, Acrylic on canvas, 121.92 x 152.40 cm, Courtesy of Christine Wang & Galerie Nagel Draxler Berlin Köln München. Rechtes Bild im Hintergrund:
Christine Wang, Talking Heads, 2018, Acrylic on canvas, 121.92 x 152.40 cm, Courtesy of Christine Wang & Galerie Nagel Draxler Berlin Köln München

Textauszug

Christian Nagel & Saskia Draxler
Christian Nagel (geb. 1960), Sie studierten Kunstgeschichte, Archäologie und Philosophie an der Ludwig Maximilians-Universität München. In München leiteten Sie von 1986 bis 1988 gemeinsam mit Matthias Buck die Galerie Christoph Dürr in der Villa Stuck und stellten Künstler wie Fareed Armaly, Günther Förg, Martin Kippenberger, Michael Krebber, Heimo Zobernig, Clegg & Guttmann aus. 1990 eröffneten Sie in Köln an der Brabanter Straße ihre eigene Galerie mit institutionskritischer, post-konzeptueller Kunst. Die Eröffnungsausstellung war gleichzeitig die erste Einzelausstellung von Cosima von Bonin. Es folgten Michael Krebber, Christian Philipp Müller, Andrea Fraser, Hans-Jörg Mayer, Heimo Zobernig, Mark Dion, Renée Green, Clegg & Guttmann, Stephan Dillemuth, Kai Althoff, Josephine Pryde und John Miller. Seit 2002 gibt es die Galerie Christian Nagel in Berlin. 2009 wurde Saskia Draxler Partnerin der Galerie, die Namensänderung erfolgte 2013. Seit 2013 führt die in Nagel Draxler umbenannte Galerie neben den Berliner Räumen in Köln einen Projektraum für junge Kunst im Reisebüro Diko. Zum Gallery Weekend 2016 wurde mit dem Nagel Draxler Kabinett ein zweiter Ausstellungsraum am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin eröffnet, 2018 folgten neue Galerieräume in der Kölner Elisenstraße. Im Herbst 2019 expandierte die Galerie Nagel Draxler und bezog ein Ladengeschäft von 80 qm in der Münchner Maxvorstadt.

J.Krb.: Ukrainekrieg, Klimawandel, Corona-Pandemie, Rechtspopulismus, Migration, Rassismus beschreiben den gegenwärtigen Zustand der Gesellschaft. Oftmals werden gegenüber der Kunst Erwartungen formuliert, Ver- und Gebote aufgestellt. Kunst habe dieses zu tun und jenes zu lassen. Die Kunst solle politisch korrekt sein, habe den Klimawandel zu thematisieren und Welterklärungsmodelle
zu liefern. Hehre Ansprüche. Welche Rolle kann die Kunst in einer neoliberalen und globalisierten Welt einnehmen?

C.N.: Nach wie vor sollte die Kunst und Kultur als Stachel im Fleischder Gesellschaft agieren und den Menschen einen Spiegel vor das Gesicht halten. Kunst ist ein wichtiger Treibstoff im Leben. Leider wurden in der neoliberalen Welt viele Werke durch obszöne Preise zu Instrumenten des Finanzmarkts degradiert.

S.D.: Heiner Müller sagte einmal: »Die Funktion von Kunst besteht für mich darin, die Wirklichkeit unmöglich zu machen.« Ich glaube, in der momentanen Situation leistet die Kunst schon viel, wenn sie sich fragt, wem dient sie, an wen sie sich verkauft und wo die Mittel dafür herkommen. So, wie das beispielsweise eine Künstlerin wie Andrea Fraser schon seit den 90er Jahren untersucht.

J.Krb.: Sie sprachen bereits Mitte der 1990er Jahre von der Notwendigkeit eines neuen Galerieformats. Ihre Galerie verstand sich als Büro zur Organisation und Vermittlung aktueller Kunst. Im September
1995 wurde das Büro mit der Gruppenausstellung »Aufforderung in schöner Weise« aufgelöst. Bedarf es auch heute neuer Vermittlungs- und Präsentationsformen oder ist eine Galerie, eine Galerie, eine Galerie?

C.N.: Nach wie vor veranstalten Galerien in ihren Räumen Ausstellungen, sie sind Organisations- und Vermittlungsplattformen mit Verkauf, Lager und Archiv. Es gibt viele Aktivitäten: Messen, Reisen, Atelierbesuche etc. außerhalb der Galerie. Mit Kunst, die sich mit Blockchain-Technologie befasst und NFT haben wir im letzten Jahr einen neuen digitalen Geschäftsbereich eröffnet. Dies findet fortan in unserem Crypto Kiosk Ausdruck, der eine Schnittstelle zwischen digitaler und physischer Kunstwelt ist.

J.Krb.: Institutionskritik und Kontextkunst waren in den Anfängen der Galerie die programmatischen Eckpfeiler. Früh zeigten Sie Martha Rosler, Andrea Fraser, John Miller, Heimo Zobernig, Mark Dion, Renée Green, Christian Philipp Müller, Clegg & Guttmann. Warum diese programmatischen Anfänge, welche Rolle spielt die Institutionskritik und Kontextkunst in der heutigen Kunstlandschaft, in der alles möglich, verfügbar und daseinsberechtigt scheint?

C.N.: Alle von Ihnen genannten Künstler sind nach wie vor aktiv und stellen im Museum aus.

S.D.: Heute muss »Institutionskritik« vor allem auf das scheinbar allem Handeln in der Kunstwelt wie in ihrer Außenwelt irgendwie Unterliegende ausschließlich auf das ökonomisch ausgerichtete Binnenrational zielen, so wie es Fraser oder Rosler ja auch schon immer getan haben. Die mit öffentlichen Geldern finanzierten Museen und Institutionen müssen vor den Interessen der Privatwirtschaft bewahrt werden. Das ist eine große Verantwortung und die Politik muss sie dazu mit den nötigen Mitteln ausstatten.

J.Krb.: NFTs (non-fungible token - nicht austauschbare Wertmarken) sind derzeit auch im Kunstbetrieb ein großes Thema. NFTs sind mit dem Versprechen angetreten, die Kunst zu demokratisieren, hierarchische Strukturen im Kunstbetrieb aufzubrechen und »Gatekeeper« auszuschalten oder geht es letztlich wieder um das schnelle Geld? Jüngst fiel der Hammer für ein digitales Kunstwerk im New Yorker Auktionshaus Christie’s bei 69 Mio Dollar. Sind NFTs mehr als nur eine Strategie, digitale Kunst zu zertifizieren und handelbar zu machen?

C.N.: Selbstverständlich! Erst war es die Photographie, dann die Videokunst und heute NFT und Cryptokunst, die die Kunst medial erweitert haben. Es gibt in der Kunstwelt eine Unsitte, die darin besteht, dass immer wieder überteuerte Auktionsergebnisse zur Bewertung von Kunst hinzugezogen werden, da diese irrwitzigen Preise ein großes Interesse beim breiten Publikum anziehen. Die meisten gehandelten NFTs liegen preislich im unteren Segment. Die wichtigsten NFT-Arbeiten haben ihren Ursprung eher im postkonzeptuellen Ansatz als im Crypto Punk oder Mickey Mouse Bereich.

S.D.: Im Zentrum eines jeden großen Paradigmenwechsels in der Kunstgeschichte steht eine Wertedebatte. Der derzeitige überreizte Meinungsaustausch über die Frage, ob NFTs Kunst sind, spiegelt einen disruptiven Moment der Konfrontation zwischen einer Kultur der physischen Werke und einer Kultur der digitalen Kunst wider. Digitale Kunst war in der Hierarchie von Kunstwerken bisher ganz unten angesiedelt. Vielleicht ändert sich da jetzt etwas. Nicht alle NFTs sind Kunst oder wollen es sein. Und nicht alle NFTs, die Kunst sind, sind teuer, die wenigsten sogar. Und doch wird die ganze Zeit in diesem Zusammenhang meistens nur über Geld geredet. Es ist seit langem klar, dass das Kunstsystem vom Privatkapital abhängig ist. Diese Abhängigkeit hat sich durch die Deregulierung der Finanzmärkte, die durch die Digitalisierung einen neuen Schub erhalten hat, obszön beschleunigt. Die Wahl besteht wie immer darin, eine Bilanz der eigenen Verstrickung zu ziehen und das System von innen zu kritisieren – eine Perspektive, die von den interessanteren Künstler:innen und Intellektuellen eingenommen wird – oder es von einem weniger chaotischen außen zu kritisieren, was leider zu wenig mehr als Selbstbestätigung führt.

J.Krb.: »Was für Kunst bezahlt wird, ist völlig gaga«, sagt der ehemalige Galerist Jörg Johnen. Werke für 30, 40, 50 und 100 Mio Euro sind inzwischen keine Seltenheit. Mir scheint, der Preis für ein Kunstwerk hat sich gegenüber dem ästhetischen Mehrwert verselbständigt. Nach Wolfgang Ullrich dienen Kunstsammlungen als Distinktionsinstrument, es gehe um den Preis des Werkes, nicht um Rezeption und spricht in diesem Kontext von »Siegerkunst«, die die Kaufkraft derer demonstrieren soll, die Höchstpreise bezahlen können und zum wichtigsten Ingredients einer exklusiven Lebenswelt der Erfolgreichsten in Wirtschaft, Sport, Politik, Showbusiness geworden ist. Stimmen Sie dem zu?

C.N.: Ich habe bereits erwähnt, dass viele Preise in der Kunst völlig falsch kalkuliert sind. Vergleichen Sie z.B. Francis Bacon und Lucian Freud mit Joseph Beuys und Marcel Broodthaers, dann sehen sie, dass mittelmäßige Malerei gegen kunsthistorisch wichtige Positionen unangenehm preislich überwiegt. Von nicht eindeutig zugeschriebenen da Vincis möchte ich gar nicht reden.

J.Krb.: Hohe Ablösesummen machen die Runde. Treueschwüre haben oftmals eine kurze Verfallszeit. Der Wechsel von Spielern und Trainern ist längst Alltag in den Fußballliegen der Welt. Inzwischen gibt es auch im Kunstbetrieb einen »Transfermarkt«. Künstler:innen wechseln von einer Galerie zur anderen. Böse Zungen behaupten, auch hier werden »Ablösesummen« bezahlt. Jonathan Meese wechselte von CFA zu Sies & Höke, Elizabeth Peyton von Gavin Brown Enterprise zu Barbara Gladstone, Tomás Saraceno von Esther Schipper zu Neugerriemschneider. Jeff Koons hat seine bisherigen Galerien Gagosian und Zwirner verlassen und wird fortan exklusiv von der Pace Gallery vertreten. Ihre Galerie ist ebenso von Transfers betroffen: Cosima von Bonin, Michael Krebber und Sterling Ruby werden nicht mehr von Ihnen vertreten. Was sind die Gründe?

C.N.: Entweder sind es konkrete Geldangebote oder die Künstler:innen erwarten sich von der neuen Galerie mehr Erfolg. Betrachtet man die Wechsel historisch, so ist es leider oft nicht der Fall, dass Karrieren wirklich angeschoben werden. Es gibt viele Fälle, da versanden auch diverse Künstler:innen.

J.Krb.: »Christian Nagel ist in Köln der kompromissloseste und aktuellste Galerist.« (Just for Art 1995, Galerien in Deutschland), »’Kunst-Macher’ Christian Nagel. Ein bisschen wie Franz Josef Strauß.« (Handelsblatt 2006), »Spezialist für vertrackte Positionen.« (Welt 2015), »Schräges für eine schräge Stadt.« (Kölner Stadtanzeiger 2015). Headlines zu unterschiedlichen Zeiten – alles »Streicheleinheiten«?

C.N.: Da ich nicht lügen kann, ist der Vergleich mit Franz Josef Strauß obsolet, gerne sind wir die Galerie für schwierige Positionen. »Der Nagel kann die schwierigsten Arbeiten verkaufen« war ein schönes Kompliment aus meinem Kollegenkreis.

J.Krb.: Ist in Berlin heute noch viel von der Aufbruchstimmung der 1990er Jahre zu spüren, ist Berlin noch die brodelnde Stadt, wie sie sich gern gibt oder bröckelt der Hype? Wer hat die Nase vorn: Düsseldorf, Köln oder Berlin?

C.N.: Natürlich hat Berlin als Hauptstadt und fast 4 Mio Stadt eine größere Dynamik, daran wird sich auch nichts ändern. Trotzdem ist das Rheinland bis heute stärker, was Museen und Kunsthochschulen angeht und die Art Cologne ist mit großem Abstand die wichtigste deutsche Kunstmesse, die auch international aufgestellt ist.

J.Krb.: Die Galerie feierte jüngst ihr 30-jähriges Jubiläum. Sofern Sie auf diese lange Zeit zurückblicken, was sind die wesentlichen Veränderungen im Kunstbetrieb, welche sind in besonderer Weise kritikabel oder lobenswert, was ist für Sie Ansporn immer weiterzumachen?

C.N.: Von Anfang an war es für uns wichtig, einen blasierten Kunstgeschmack von uns fernzuhalten und seitdem haben wir Instrumente Ausstellungen zu veranstalten, die substantielle Tiefe, grundlegende Qualität und wichtige Inhalte implizieren. Dahinter steht der ironische Blick, dass alles auch ganz anders sein könnte.

S.D.: In den vergangenen 30 Jahren hat immerhin die Digitalisierung, das heißt die 4. Industrielle Revolution, stattgefunden, und das hat sowohl das Leben als auch den Kunsthandel grundlegend verändert. Durch social media hat eine Art Kulturalisierung sämtlicher Lebensbereiche stattgefunden und Beuys’ Diktum, dass jeder Mensch ein Künstler sei, wird scheinbar in dem Moment wahr, in dem auch die komplette Kommerzialisierung des Menschlichen vollzogen ist und jedes Gesicht und jedes Gefühl verwertet wird. In diesem Szenario die Nerven nicht zu verlieren ist unser Anspruch und unser Ansporn, denn Kontinuität ist heute quasi radikal. Ein glückliches Leben ist nicht ein Leben, in dem es keine Schwierigkeiten, Krisen oder Niederlagen gibt, sondern ein Leben, in dem es etwas gibt, das trägt. Bei uns ist es das Interesse an der Kunst und am Denken.

Joachim Kreibohm