Portrait

3D Pilz, 2022, PLA, LED-Leuchten, elektrische Vorrichtung, 275 x 249 x 223 cm,
Courtesy Galerie Bärbel Grässlin und Tobias Rehberger,
Foto: Wolfgang Günzel

Textauszug

Tobias Rehberger
Seit etwa 30 Jahren bespielt der in Frankfurt am Main lebende Tobias Rehberger – dort ist er inzwischen auch Professor an der renommierten Städelschule – den internationalen Kunstbetrieb mit seinen (performativen) Installationen, Skulpturen und Arbeiten auf Papier. Ein Sujet kehrt dabei in ganz unterschiedlichen Formulierungen immer wieder, und zwar das des Zigarettenrauchens. Im Folgenden soll gezeigt werden, wie dieses Sujet dank seiner Transformationen im Werk des Künstlers gesellschaftspolitische Veränderungen in den letzten Jahrzehnten so präzise wie spielerisch reflektiert.

Ein Schlüsselwerk aus den ersten Erfolgsjahren Rehbergers ist sein Langzeitprojekt »Fragments of their pleasant spaces (in my fashionable version)«, 1996/1999/2009. Tobias Rehberger befragte damals Freunde, wie sie sich Wohnsituationen vorstellen, in denen sie perfekt entspannen können. Auf der Suche nach »pleasant spaces« begab er sich in Kooperation mit seinen Freunden. Anschließend setzte der Künstler deren Antworten in enger Zusammenarbeit mit professionellen Designern um in »my fashionable version«. Rehbergers eigene Interpretation bestimmt so im Dialog mit seinen Freunden und den mitarbeitenden Designern schließlich das Erscheinungsbild dieser zur lustvollen Benutzung freigegebenen Wohnsituationen. Etwa das des Ensembles »No need to fight about the chanel. Together. Leant back«, 1996: Zwei gelbe Sitzmöbel im Stil der optimistisch-poppigen 1970er Jahre stehen dort nebeneinander im Raum, vor ihnen hängen zwei weiße, an übergroße Tennisbälle erinnernde Kugeln, in denen je ein Fernseher steckt. Davor eine dunkelblaue Vase, die auch als Aschenbecher funktionieren kann. In diesem Sinne sagt ja auch der Künstler: »Funktionalität ist unterschiedlich interpretierbar«. »Smoking, talking, drinking – in smoking with his friends«, 1996, ist dann ein weiterer »pleasant space« benannt, das Rauchen steht in diesem Ensemble mit seinem jetzt eher in einem postmodern anmutenden Stil designten »dreirundigen« Tisch und drei eiförmigen Sitzmöbeln dezidiert an erster Stelle. So ist es dann sicherlich kein Zufall, dass auch in anderen »pleasant spaces« von Rehberger immer wieder Plätze für das »Abaschen« vorgesehen sind ...

Doch nicht nur die postkapitalistische Form der Arbeit wurde in dieser Kunst thematisiert, sondern auch die (Konsum)Begierden und Sehnsüchte der (vermeintlichen) Nutznießer dieser Produktion, den Kunden dieser postheroischen Arbeit. Wir erinnern uns: »Konsum als Kritik« war damals ein Topos, der in unterschiedlicher Weise nicht zuletzt in der als »hedonistisch« verschrienen »relational Ästhetik« (Nikolas Bourriaud), zu der auch Tobias Rehberger mit seinen performativen Installationen gezählt wurde, eine wichtige Rolle spielte.

Die lapidare Installation »Smoke until gone«, 2019, reflektiert die oben beschriebene Entwicklung so treffend wie subtil. Schon der Titel der Installation lässt eben die lebensfrohe Ansprache vermissen, die noch typisch für Rehbergers frühere Arbeiten war, ein (morbides) »Rauchen bis weg« nämlich steht hier auf dem Masterplan. Gut 60 (!) knallbunte Aschenbecher sind im Raum verteilt, gefertigt in einer simplen Bastelästhetik aus Pappmaché. Die Benutzung der Aschenbecher ist erlaubt, ein lustvoll-genießendes Miteinander aber wird hier bereits durch die übergroße Anzahl dieser Aschenbecher in Frage gestellt: 60 Raucher in einem Raum stellen eher eine absurd-ungesunde Massenveranstaltung dar als eine für die »relational Ästhetik« typische Situation des kommunikativen Austausches. Die knallbunt-poppige, gleichsam »kindlich-kommodifizierte« Farbgebung der Aschenbecher weist zudem hin auf die marktgerechte – je mehr »gepafft« wird desto besser – Funktion des Rauchens. Last but not least besitzt der Vorgang des »Abaschens« hier nicht zuletzt eine destruktive Qualität, schließlich sind die Aschenbecher aus Pappmaché gefertigt und werden durch das »Abaschen« langsam aber sicher zerstört – emanzipative Partizipation sieht bekanntlich meist anders aus. Noch unappetitlicher wird es in der Bilderserie »Harmony«, 2019: Die Aquarelle zeigen Speisereste, in denen ausgedrückte Zigarettenstummel von überaus schlechtem, ja asozial-rücksichtslosem Benehmen künden. Die im Titel angesprochene Harmonie erweist sich so als trügerisch, gleichwohl sind die Aquarelle immerhin noch Zeugen von gesellschaftlichem Leben, dienen doch Essen als Vorlage für diese Fotos, die Rehberger, selber ein starker Raucher übrigens, gemeinsam mit Freunden hatte.

Auch die besagte zunehmende Bedeutung von Computer und Internet bedenkt der Künstler jetzt durchaus kritisch. Die von innen beleuchtete Skulptur 3D Rauchsäule 1, 2022, aus transparentem Kunststoff ist da zu nennen. Ein im Internet gefundenes 3D Modell, ein nicht von Tobias Rehberger selbst entworfenes Modell von Zigarettenrauch wird hier in übergroßer Dimension variiert. Die Formbildung ist dabei vom Künstler komplett einem Computerprogramm überlassen. Artistische Autorenschaft inklusive selbstbewusster künstlerischer Kontrolle wird bei dieser Skulptur gleich zweimal zugunsten der künstlichen Kreativität des Internets und des Computers aufgegeben. Und auch das Sujet dieser Skulptur, ein ganz gewöhnlicher Zigarettenrauch, erzählt von Kontrollverlust, entsteht dieser Qualm doch eher unabsichtlich und ungeplant, ohne bildnerische Absicht quasi als Abfallprodukt des Nikotingenusses. Kontrollverlust aber bedeutet nicht nur in der Formgebung hier, sondern meist auch im richtigen Leben der Internetnutzung, dass Kontrolle (klammheimlich) anderweitig übernommen wird. Wieder einmal gelingt es Rehberger, mit einer künstlerischen Arbeit als gelungenes Beispiel für einen Gestaltungsmodus auf Gestaltungstendenzen hinzuweisen, die in einer ganzen Kultur und einer bestimmten Epoche gegenwärtig sind (Umberto Eco).

Raimar Stange