Portrait

You the Better, 1983/2015, Filminstallation
Foto: Iris Ranzinger

Textauszug

Ericka Beckman
Alle Props und Requisiten, die in Beckmans Filmen auftauchen, baut sie selbst. Wenn sie eine Idee zu einem Film hat, liest und recherchiert sie oft monatelang. Dann zeichnet sie und fertigt Schaubilder und Storyboards. Drehbücher dagegen schreibt sie fast nie. So geschah es auch bei ihrer »Super-8-Trilogy«, bestehend aus den Filmen »We Imitate; We Break Up« (1978), »The Broken Rule« (1979) und »Out of Hand« (1981). Handlungsleitend für die Trilogie war die Auseinandersetzung der Künstlerin mit dem Werk des Schweizer Psychologen Jean Piaget (1896-1980), der zur kognitiven Entwicklung von Kindern geforscht hat.

Out of Hand« (1980) ist der geheimnisvollste und reizvollste Film der Trilogie. Die Manier, wie Ericka Beckman hier ingeniös mit Überblendungen arbeitet, mit der Verknüpfung von Realfilm und Animationen sowie dem Auftritt strahlender Primärfarben und einfacher, oft spielzeugartiger Formen, weist voraus auf »You The better« (1983). Formen des Musicals und des Horrorfilms verbinden sich zu einer Art Narration, in der es um die Suche eines Jungen nach sich selbst geht. Folgen wir Piaget: Um seine Individuation, sein Erwachsenwerden. Wenn er tagträumend auf seinem Bett liegt und allerlei Gebilde um seinen Kopf herumwirbeln, hat man den Eindruck, er setzt sich mit den Konzepten auseinander, die Eltern und Lehrer als Erklärungsmodelle der Welt an ihn herangetragen haben. Seine Suche, bei der er das ganze Haus auf den Kopf stellt, wird immer fieberhafter. »Something is Missing« lesen wir, und ein Mädchenchor singt ihm mit »Dip, dive, go deep into it« Mut zu für seine Recherche, während ein Polizist ihn in eine bestimmte Richtung zu dirigieren sucht. Hektisch forscht er in allen möglichen Kisten und Kasten, kramt Spiel- und Werkzeuge hervor, die er alle verwirft. Erschöpft hält er schließlich inne, während Go-go-Girls die Beine schwingen, als sei das ewig Weibliche die Antwort auf seine Suche.

» You The Better« (1983) schließlich, Ericka Beckmans erster 16-mm-Film, ist eine Apotheose des kompetitiven Spiels. Was in ihm nicht untersucht wird, ist das Spiel im idealistischen Sinn, über das uns Friedrich Schiller in seinem 15. Brief über die ästhetische Erziehung des Menschen aufgeklärt hat und in dem es heißt: »Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.« Geht es Schiller um ein von Pflicht und Notwendigkeit befreites Spielen in Schönheit und Freiheit, erforscht Beckman im Gegenteil ein von Regeln beherrschtes Spiel, bei dem aber nie ganz klar wird, wie genau diese lauten und wer sie setzt. Die Spieler, die in ihrem Film auftauchen, praktizieren eine Mischung aus Basketball, Volleyball und Bowling. Sie spielen gegeneinander und zugleich auch gegen das »Haus«, das man aus Casinos kennt, wo die Spieler, etwa beim Roulette, Black Jack oder Pokern, mit monetärem Einsatz gegen das »Haus« gewinnen wollen. Zwei unterschiedliche Teams feuern sich gegenseitig zu Höchstleitungen an mit Slogans wie »Don`t stop. Get to the top.« Beckman setzt in diesem Film zum ersten Mal Dialog ein. Der sportliche Wettkampf und das Wetten im Casino fließen in einer gemeinsamen Anstrengung ineinander. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit jedes Spiel – und auch unser Leben – vom Zufall bestimmt werden. Der Titel »You The Better« hat in dem Zusammenhang eine doppelte Bedeutung. Es geht einerseits darum, im Spiel des Lebens »besser« (better) zu werden, andererseits als »Wetter« (bettor) zu agieren und »Wetten« (bets) mit ungewissem Ausgang einzugehen. Die Strategie, nach der ein Spieler einen Punkt macht, bleibt undurchschaubar. Doch leuchtet dann, begleitet von einer imposanten Geräuschkulisse, im Film ein Feld auf und außerhalb des Films eines der skulpturalen Elemente, die das Ganze zur Videoinstallation erweitern. Unübersehbar ist in diesem Werk die von Beckman praktizierte Gesellschaftskritik. Gedreht in der Zeit der Reagan-Ära, zielt »You the Better« darauf ab, die Wirtschaftspolitik jener Zeit als einen Casino-Kapitalismus zu entlarven. Was in den Bauspekulationen der Eingangsszene deutlich wird.

Das vorläufig letzte Werk von Ericka Beckman ist »Reach Capacity« aus dem Jahr 2020. Eine zweiteilige Videoinstallation, deren Entstehung sich Beckmans ganz persönlicher Erfahrung mit dem explodierenden Immobilienmarkt in New York verdankt. Die Künstlerin hatte lange Jahre in einer sehr bezahlbaren Wohnung in Lower Manhattan gewohnt, bis das Haus abgerissen wurde. Als Folge eines unbedachten Baugesetzes, das soziale Absichten verfolgte, im Endeffekt aber spekulative Operationen begünstigte. Bei den üblichen Recherchen im Vorfeld ihres Projekts stieß die Künstlerin auf die Geschichte von »Monopoly«. Ein Brettspiel, bei dem es für die Spieler darum geht, durch geschickte Investitionen so viel Grundbesitz und Häuser in ihren Besitz zu bringen wie nur möglich. Beckman begegnete dort einem ähnlichen Mechanismus wie in ihrem Leben. Das Spiel hatte 1904 die Feministin Elizabeth Magie geschaffen. Unter dem Namen »The Landlord’s Game« sollte es inakzeptable Spekulationen und Monopole in der amerikanischen Gesellschaft aufdecken. Als die Spielehersteller Parker Brothers Magies Idee kauften und das Spiel unter dem Namen »Monopoly« auf den Markt brachten, verkehrten sie seine ursprünglich antikapitalistische Intention ins Gegenteil. Eine ähnliche, wenn auch tröstlichere Umkehrung gibt es in Ericka Beckmans Film. In seinem ersten Teil herrscht ein unermüdliches Baufieber. Drei Händler in blauen Anzügen sondieren unentwegt das Terrain, kaufen und investieren in neue Gebäude. Im zweiten Teil des Films aber kippt die Leinwand um 180 Grad. Nun stehen die Arbeiterinnen und Arbeiter im Zentrum. Sie haben das kapitalistische Spiel verstanden und wehren sich. Sie wollen nach eigenen Regeln spielen und durch Solidarität soziale Gerechtigkeit herstellen. Ein schöner Traum! Wenn er doch nur einmal wahr würde.

Michael Stoeber