Essay

Textauszug

»KULTURKAMPF ZU ZEITEN DES KRIEGES«
»Kann es noch irgendeine kulturelle Brücke, natürlich nach dem Krieg, nach Russland geben?«, fragte der Radiojournalist Vladimir Balzer von DLF-Kultur die Kuratorin des ukrainischen Pavillons Maria Lankow auf der Eröffnung der Biennale in Venedig. »Zuerst die ‘Nürnberger Prozesse’ zu diesem Krieg, dann werden wir sehen«, antwortete sie knapp. Ein Kulturkampf beginnt schon lange vor einem Krieg und frisst sich als Propaganda bis in den Kreislauf jedes dafür anfälligen Organismus. Er schließt nun da an, wo keine Lösung mehr gefunden werden kann. Nichts ist so frustrierend wie die Ratlosigkeit darüber, wie dieser Krieg rasch beendigt werden könnte.

Unmittelbar nach dem völkerrechtlichen Angriff auf die Ukraine, erbat man zunächst auch von russischen Kulturschaffenden und Repräsentant:innen eine klare Stellungnahme. Da, wo sie nicht erfolgte, kam es zu Konsequenzen. Im Kontext der Jahrestagung des deutschen Kunstkritikerverbandes AICA entflammten diverse Diskussionen darüber, so über die Rechtmäßigkeit der Entlassung des Dirigenten Waleri Gergijew durch den Münchener Oberbürgermeister Ende Februar 2022. Ob sich nicht schon eine zensurartige Phobie breitmachen würden, die an die McCarthy-Ära erinnern könnte? Um zu moralisch ethischen Urteilen zu kommen, bedarf es der uneingeschränkten Freiheit der politischen Anschauung (GG Art. 3), der Meinung (GG Art. 5) und der Kunst (ebenfalls GG Art. 5). Genau zu beobachten, ob hier Rechtsräume verschoben werden, ist wichtige Aufgabe der nächsten Zeit. Doch war nun gerade am Beispiel Gergijew, dem putintreuen »Orpheus am Machtpol«, mit Kanonen auf einen Spatzen geschossen.

Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Luise Amtsberg, hat vor einem Boykott russischer Kultur in Deutschland gewarnt. »Es wäre die falsche Konsequenz aus Putins Krieg, nicht mehr in russische Restaurants zu gehen oder russische Kunst und Kultur zu boykottieren«, sagte die Grünen-Politikerin der »Neuen Osnabrücker Zeitung« (NOZ). Dem ist wenig entgegenzusetzen. Doch gibt es nun eine Situation, die klare Kanten, Entscheidungen und Positionsbestimmungen erfordert. Wenn Lüge eine russisch-staatsbürgerliche Pflicht ist (und gar als solche praktiziert wird), dann kann es allenfalls noch wenig Schnittmengen mit staatstreuen russischen Bürgern und Sympathisanten geben. Viele russische Künstler:innen und Kulturschaffende haben unmittelbar auf diesen Angriffskrieg reagiert und sich selbst gecancelt, um sich nicht in den Dienst zu stellen. Viele mussten oder haben gar das Land verlassen. Das kann man nicht verlangen, zumal die Zensur nun bitterst streng geworden ist. Das gilt insbesondere für Journalisten. Wahrheit und Freiheit bleiben nun einmal untrennbar.

Sabine Maria Schmidt