Artist Ausgabe Nr. 105

Portraits

Dan Perjovschi | Michael Krebber | Walker Evans | Julius von Bismarck | Daniel G. Andújar

Interview

Wolfgang Ullrich

Page

Annika Kahrs

Portrait

links: Games Killer, 2014; rechts: Games Real, 2014, © HeK, Basel

Textauszug

Daniel G. Andújar
Access To Technology is a Human Right«. Das aktuelle Motto im Foyer des HeK (Haus für elektronische und digitale Kunst), seit 2011 in den neuen Räumen am Freilager-Platz in Basel, ist wie fürs Haus gemacht und klingelt wie ein vertrauter Kampagnen-Slogan in den Ohren. Es stammt von dem spanischen Künstler Daniel Garcia Andujár, der 1996 das fiktive Unternehmen »Technologies To The People« als Vertriebsplattform für freie Software gründete. Mit seinen diversen e-Projekten (e-valencia.org, e-barcelona.org, e-sevilla.org, etc.) schuf er zunächst lokal verankerte kulturpolitische Internetforen zur Etablierung von Gegenöffentlichkeiten.

So widmet sich eine zentrale Videoinstallation der Ausstellung »Games Real« (2014) der praktizierten Technik, mittels Gesichtserkennungssoftware Schnappschüsse von Demonstranten auszuwerten. Doch ist dies nur der Ausgangspunkt. Denn genau diese Gesichter bilden prototypische Profile für Designer, die mit einer Software je nach Gusto diese Portraits in manipulierte Charaktere verwandeln, die in der gegenübergestellten Videoarbeit »Games Killer« (2014) nun als böse Protagonisten und Killermaschinen auftauchen. Fiktive Konstruktion oder perfide Manipulation? Das Material von einer Demonstration auf den Ramblas in Barcelona bietet aber noch weitere Untersuchungsfelder, indem sie die Präsenz von sogenannten »Infiltratoren« aufdeckt: als Demonstranten getarnte Polizeiagenten, die sich im Klischee-Look derselben (schwarze Hoodies, Stiefel, Jeans, T-Shirts mit Sprüchen) unter die Menge gemischt haben. Andujár übersetzt die Bilder in digitale Zeichnungen, die zwischen Beobachtern und Beobachteten kaum mehr unterscheiden lassen; symbolische Bilder der Pole eines Machtkonfliktes, die sich immer mehr angleichen. Mit den Zeichnungen schält er auch eine eigenartige Ikonographie an Typisierungen
und Körperhaltungen heraus, die sich in eine lange historische Tradition von Darstellungen von Protestbewegungen einbindet. Auf der gegenüberliegenden Wand zeigen 14 (digital reproduzierte) Kupferstiche dramatische Szenen aus bürgerlichen Aufständen aus dem 19. Jahrhundert, Barrikadenkämpfe an Schauplätzen zwischen Istanbul, London, Madrid und Paris. Während Raoul Hausmanns Paris aber auch darauf ausgerichtet war, Barrikaden zu vermeiden, zeichnen sich die heutigen Megastädte als eine Vielzahl von institutionalisierten Barrikaden (Malls, überwachte Anlagen, Regierungsviertel, religiöse Stätten, privatisierte Räume) aus, die nur mehr von öffentlichen und oft prekären Zwischenräumen unterbrochen werden.

Andujárs Kunst ist zutiefst politisch, da sie die Wiederaneignung von Bild- und Wissensproduktion, ebenso wie ihre Reflektion darüber ununterbrochen einfordert. Sie ist politisch, da sie nicht vorführt, sondern genaue Beobachtung, Re-lektüre, auch Haltung einfordert und letztlich aus dem »Betriebssystem Kunst« herausführt. Welche Innovationen im Sinne einer Politik des Unmöglichen aus dem Feld der Kunst noch eine Rolle spielen, mag diskutiert bleiben. Wichtiger wäre es aktuell daran zu arbeiten, dass die Politik eine Kunst des Möglichen bleibt. Andújar geht in seinen Arbeiten immer wieder auf Selbstorganisationsformen, zivilen Ungehorsam und subversive Aneignungstaktiken ein, die durch soziale Netzwerke und das Internet die Frage nach zukünftiger Freiheit neu stellen. Dabei wagt er es als Künstler im Zeitalter der Bilderkämpfe durchaus auch die Rolle eines Intellektuellen zu übernehmen. Und selbstkritisch die Paradoxien und Komplizenschaften im zeitgenössischen Kunst- und Kulturbetrieb zu hinterfragen, die sich nur allzu schnell veränderten Verhältnissen andienen.

Sabine Maria Schmidt