Artist Ausgabe Nr. 91

Portraits

Jan Peter Hammer | Yuji Takeoka | Joachim Grommek | John Smith | Yael Bartana

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Knut Eckstein

Edition

Joachim Grommek

Portrait

The Black Tower (Detail), 1985-87, 16mm Film, 24 Min., Courtesy the artist and Tanya Leighton Gallery, Berlin, © John Smith

Textauszug

John Smith
Der Film »The Girl Chewing Gum« (1976) hat John Smith berühmt gemacht. Jedenfalls unter Experimentalfilmern und den Liebhabern dieses Genres. Als er ihn dreht, ist er gerade einmal 24 Jahre alt und studiert Film am Royal College of Art in London. Die Idee zu diesem Streifen, so erzählt Smith dem Autor dieses Porträts, kam ihm, nachdem er François Truffauts »La Nuit Américaine« (1973) gesehen hatte. Dieser Film des französischen Regisseurs wird nicht von den Experimenten der Nouvelle Vague getragen, sondern ist eine Liebeserklärung an das klassische Studiokino. Er legt die vielen Illusionen des Filme Machens offen, ohne dabei den Zauber des Kinos anzugreifen. Ein traumwandlerischer Balanceakt, der bis heute seinesgleichen sucht. Für John Smith war der Film von François Truffaut ein großer Augenöffner. War er bis dahin, ohne die Sache groß zu reflektieren, davon ausgegangen, dass beispielsweise in einer Straßenszene alles Geschehen - um, nehmen wir an, zwei Protagonisten herum - so gefilmt wird, wie es sich zufällig dort ereignet, lernt er durch diesen Film, dass jede Handlung einer Einstellung, aber auch wirklich jede Handlung, sorgfältig geplant und komponiert ist. »Even the dog was instructed to piss up a lamp-post«, wie Smith augenzwinkernd kommentiert.

Gegenwärtig wird nun John Smith – Gott sei Dank mit mehr Pub-likumsresonanz! – nahezu zeitgleich in einer Art joint venture in der hannoverschen Kestnergesellschaft und der Bremer Weserburg gezeigt. Zum Teil mit identischen, aber auch mit sehr vielen unterschiedlichen Filmen, so dass sich der Besuch beider Ausstellungen lohnt. Im Rahmen eines Begleitprogramms zur Smith-Schau in der Weserburg wurde in Bremens kommunalem Kino sein Film »The Black Tower« (1985-87) gezeigt, der in der Kestnergesellschaft während der ganzen Laufzeit der Ausstellung zu sehen ist. Dieser Film gehört neben »The Girl Chewing Gum«, der ebenfalls in Bremen präsentiert wird, zu den meist diskutierten und gewürdigten im Werk des Künstlers. »The Black Tower« zeigt einmal mehr, wie viel Wert Smith darauf legt, seine Filme durchsichtig zu halten für ihre Machart. »So, that one is made aware of the construction of the film«, wie er erklärt. Andererseits hat Smith aber auch eine enorme Lust am Erzählen und an der Fiktion, wie sie das mainstream Kino kultiviert hat. Er fühlt eine große Affinität zu Filmen, die den Betrachter psychologisch involvieren und zur Identifikation einladen. Smith bekennt sich zu einer »love/hate relationship« zum Kino der Illusion. So sind seine Filme immer beides: Fiktion und Fakt, Artifizium und Aufklärung, Schein und Sein. Dabei ist die »awareness« - die Aufklärung und Analyse und damit die Emanzipation des Betrachters gegenüber dem Medium - für Smith stets das Wichtigste. Er operiert in seinen Filmen wie Platon im Höhlengleichnis. Man hat den Eindruck, dem Prozess einer »Entbergung« zuzuschauen, wie Martin Heidegger »aletheia«, das griechische Wort für Wahrheit, übersetzt hat. Smith entreißt den Mechanismus des Films dem Vergessen, dem Fluss Lethe, und ruft ihn immer neu in unser Bewusstsein.

Michael Stoeber