Artist Ausgabe Nr. 91

Portraits

Jan Peter Hammer | Yuji Takeoka | Joachim Grommek | John Smith | Yael Bartana

Page

Knut Eckstein

Edition

Joachim Grommek

Portrait

The Anarchist Banker, 2010, HD video, 30 min., Courtesy of Supportico Lopez, Berlin

Textauszug

Jan Peter Hammer
Ein gutes Beispiel hierfür ist Jan Peter Hammers 30 minutenlanges Video »The Anarchist Banker«, 2010. Zu sehen ist eine Fernsehtalkshow, der Gastgeber und Fernsehjournalist David Hall spricht da mit Arthur Ashenking, seines Zeichens ein ehemaliger CEO einer internationalen Investmentbank. Die fiktive, aber realistisch anmutende Talkshow spielt im Jahre 2008, kurz nach dem Ende der damaligen Finanzkrise. Die Dialoge dieser Talkshow basieren auf der Kurzgeschichte »Der anarchistische Banker« (1922), des portugiesischen Schriftstellers Fernando Pessoa.

Geschickt hat Hammer diese Geschichte so adaptiert, dass sie als gleichsam direkt geredete indirekte Rede, als eine »künstlich verdichtete Erzählung« (Hammer) die üblichen Praktiken und inzwischen als normal erscheinende Unmoral des neoliberalen Finanzsystems reflektiert. Die umfunktionierte Rede Pessoas bewegt sich dabei in einer gedanklichen Welt, die sich irgendwo zwischen Max Stirners Theoremen und Milton Friedmans ökonomischen Lehren bewegen. Noch die Namensgebung des Finanzfachmanns ist übrigens signifikant und wiederum ein Zitat: »Artur Ashenking« stellt eine freie Übersetzung von »Artus Alves dos Reis« dar, und spielt somit an den portugiesischen Finanzjongleur an, der Portugal in den 1920er Jahren mit gewagten Spekulationen in einen Staatsbankrott getrieben hat, der 1926 zu einem Militärputsch in dem Mittelmeerland geführt hat. Gedreht ist das Ganze mit professionellen Schauspielern und in einem perfekt inszenierten Bühnenbild. Mit dieser fast glatten, überaus perfekt anmutenden ästhetischen Form unterscheidet sich Hammers Video deutlich von der Ästhetik der meisten sogenannten »kritisch-aktivistisch« motivierten, »linken« Filme. Inhaltlich allerdings passt das Geschehen in »The Anarchist Banker« kaum in diese elegante künstlerische Hülle.

Das »Böse« des Finanzsystems erscheint in dieser Arbeit also überaus smart und sophisticated. Ein seltsames Hybrid von Kritik und Affirmation, von Intelligenz und Zynismus gibt so in »The Anachrist Banker« den Ton an. Und dieses Moment des, wenn man so will, Unentschlossenen macht durchaus Sinn, reflektiert es doch eine hybride Situation, die Anfang des 21. Jahrhunderts unsere kulturelle Atmosphäre entscheidend mit prägt. Denn einerseits ist unsere Gegenwart durch »die Unmöglichkeit Böses zu sagen« (Jean Baudrillard) charakterisiert. Der ökonomische Druck und damit verbunden das weltweite Begehren nach optimaler Vernetzbarkeit führt zur Maxime des »positiven Denkens«, des »Happy Ends« in jeder denkbaren Eventualität, noch die jetzt schon sich als desaströs erweisende Klimakatastrophe wird zu einem Schauplatz fröhlicher Pragmatiker und neue Marktnischen entdeckenden Futuristen. Andererseits aber lässt sich die Brisanz solcher Zusammenbrüche wie die der real-existierenden Ökonomie und unseres ökologischen Systems doch von niemanden mehr weg leugnen. Beides zusammen führt zu einer dem »The Anarchist Banker« ablesbaren Form, das Böse zu sagen, allerdings nur in eben der »indirekten Rede«, die schon der Kulturkritiker Michail Bachtin angesichts diktatorischer Systeme analysiert hat. Michail Bachtin stellte vor allem in seiner Aufsatzsammlung »Die Ästhetik des Wortes« (1919 - 1974), treffend fest, dass die indirekte Rede, das Zitat, die Travestie und Ironie z. B., immer dann in das diskursive Spiel kommt, wenn der direkten kritischen Rede die Möglichkeit der Artikulation verwehrt ist. Böses zu sagen unter dem Gebot dieses nicht zu tun – genau dieses Paradoxon soll derzeit die indirekte Rede in der Bildenden Kunst ermöglichen. Aktuelle Beispiele für dieses ambivalente Umgehen mit dem »Bösen« sind z. B. auch konzeptionelle Arbeiten wie etwa die von Danh Vo oder James Benning, die sich thematisch mit dem US-amerikanischen »Unabomber« Ted Kacyzynski beschäftigen.

Raimar Stange