vergriffen

Artist Ausgabe Nr. 55

Portraits

Reto Boller | Natascha Borowsky | Stefan Banz | Valie Export | Jonathan Monk | Martin Kippenberger

Interview

Ariane Grigoteit

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Gabriele Rothemann

Künstlerbeilage

Rolf Bier

Portrait

»Die sympathische Kommunistin«, 1983, Öl auf Leinwand, 120 x 100 cm, Daros Contemporary, Schweiz, Foto: © Nachlaß Martin Kippenberger, Köln, Courtesy Galerie Gisela Capitain

Textauszug

Martin Kippenberger
Trotz der vielfältigen Ehrungen und Ausstellungen gilt es darauf zu achten, daß die aktuellen Umarmungen nicht von der Art derer sind, die zur Erstickung führen. Daß sie nicht dazu führen, Kippenberger als Legende zu verharmlosen und durch den Kult um seine Person von seinen Leistungen als Künstler abzulenken.

Trotz der zerstörerischen, relativierenden und banalisierenden Akte der Bilderzeugung war Kippenberger nicht nur ein sehr intelligenter, sondern auch ein äußerst kompetenter Maler. Daß er sich seiner Fähigkeiten klar bewußt war, wird deutlich an einer Bilderserie, wo er - natürlich einmal mehr nicht ohne Ironie, aber auch nicht ohne entsprechendes Selbst- und Sendungsbewußtsein - Maß nimmt an einem der großen, wenn nicht dem größten Künstler des letzten Jahrhunderts.

Neben Picasso gibt es unübersehbar noch andere Künstler, mit deren Person und Werk Kippenberger sich auseinandersetzt auf der Suche nach der eigenen Künstlerrolle. Stets passiert das ebenso ernsthaft wie ironisch, und stets werden Werk und Person der anderen Künstler wie ein Brennglas eingesetzt, um sich selbst umso genauer darin zu erkennen. Das Schamanentum von Beuys mußte dabei fast zwangsläufig zur Zielscheibe von Kippenbergers unheiligem Witz werden, und dennoch eignet dem Werk von Kippenberger hinter seinem provokanten Auftritt ein aufklärerischer Zug, der nicht gar so sternenweit entfernt ist von den Intentionen des Schwans von Kleve.

Kippenbergers Suche nach der eigenen Künstlerrolle läuft sein Leben lang über die Auseinandersetzung mit dem Werk anderer Künstler, wobei sich diese Auseinandersetzung nicht im Elfenbeinturm einer nur ästhetischen Diskussion vollzieht, sondern stets auch verbindet mit sozialen, ökonomischen und politischen Themen. Vielleicht am Deutlichsten wird das in der gewaltigen Installation »The Happy End of Franz Kafka’s Amerika«. Aber auch Werktitel wie »Newton für Arme« machen das deutlich. Oder die von den Plastiken Moores inspirierte Skulpturengruppe der »Familie Hunger«. Oder sein »Sozialkistentransporter«. Pasta und gondola, Nudelgerichte und romantische Liebe, Güterverkehr und Venedig, das Recht des Körpers und die Feinstruktur der Seele, »erst kommt das Fressen und dann die Moral«, lakonischer als Kippenberger hat niemand die Dichotomien dessen, was Menschsein bedeutet, ins Werk gesetzt. Kippenberger ist ein großer Vernetzer von allem mit jedem. Der Wille zur artistischen Identitätsbestimmung verstellt ihm keineswegs den Blick auf das, was vorgeht auf der Welt. Nicht umsonst identifiziert er sein Atelier mit dem Studio von Spiderman. Der Spinnenmann als Emblem des eigenen Schaffens. Kippenberger als großer Fadenzieher, als großer Verbinder, der ein riesiges Netz knüpft, in dem Welt und Ich sich gleichermaßen wiederfinden und abbilden.

Michael Stoeber