Portrait

Achse Kiel-Hamburg, Handykarte (Detail), 2001, Topographische Karte 1:25000, Gouache und Bleistift, 90 × 410 cm, Sammlung Dominic und Cordula Sohst-Brennenstuhl, Foto: Till Krause

Textauszug

Till Krause
Der Begriff Parkour bezeichnet eine Fortbewegungsart, die zum Ziel hat, allein mit den Fähigkeiten des Körpers von A nach B zu gelangen. Der Parkourläufer, der seinen eigenen Weg durch den von Kultur oder Natur geprägten Raum bestimmt und dabei Hindernisse durch die spezifische Kombination von Bewegungsformen überwindet, heißt im Französischen le traceur: der, der eine Linie zieht. Dem Hamburger Künstler Till Krause geht es nicht um den Einsatz von Athletik, doch indem er eine spezifisch eigene Linie durch eine Landschaft zieht und dieser Strecke als Fußgänger folgt, konfrontiert auch er sich mit den spezifischen Hindernissen eines von unterschiedlichen Funktionszuschreibungen und Machtverhältnissen organisierten Raums. Bei seiner Verfolgung der quer zu der territorialen Ordnung liegenden individuellen Spur geht es weniger um die sportive Überwindung von körperlichen Herausforderungen als um die mentale Konfrontation mit manifesten und latenten Barrieren, um die Auseinandersetzung mit äußeren Macht- und Zweckmarkierungen und die Erfahrung verinnerlichter Herrschaftsverhältnisse.

Lange Tische füllen den flurartigen Galerieraum der GAK. Unter Glashauben liegen Karten mit Einschreibungen und Überzeichnungen. An den Wänden hängen Flaggen mit bildhaft erweiterten Buchstaben, von der Decke Farbbahnen und Wimpel. Fotografien dokumentieren Graffitis ähnliche Schriftbänder an Brückenbögen oder auf den Hüllen von Strohballen. Die Inszenierung oszilliert zwischen Studierzimmer, Schaulager, Strategiezentrale und Festzelt, eine Installation von Landschaftsmarkierungen und Kartierungen aus leisen und lauten Tönen.

Der Kern der Arbeit »Achse Kiel-Hamburg« liegt in der Versuchsanordnung, der Handlungsanweisung des Geradeaus-Gehens. Daraus entstehen Aktionen, die bestimmte Wahrnehmungs- und Erkenntnismodi nach sich ziehen. Es ist die »Kunst des Handelns«, um den Titel einer berühmten Schrift von Michel de Certeau zu zitieren, in einem doppelten Sinne als Kunstform und als grundlegende auch und gerade im Alltag taugliche kreative Potenz, die Till Krauses Gesamtwerk kennzeichnet. Die Kunst als Handlung ereignet sich in kulturell geprägten Räumen und richtet sich in der aktiven Auseinandersetzung mit ihnen auf diese Räume aus.

In Krauses ästhetischen Aktionen wird die Erfahrung und Erschließung eines urbanen Feldes oder eines Landschaftsraumes auf ein individuelles Sehen und Wahrnehmen in einem alltagskulturellen Kontext zurückgeführt .

Rainer Beßling