Interview

Der Künstler Aram Bartholl und die Kuratorinnen Marianne Wagner und Britta Peters (v.l.n.r.) bei einem Materialtest im November 2016, Foto: Skulptur Projekte 2017/Hanna Neander

Textauszug

Britta Peters & Marianne Wagner
J.Krb.: Die Skulptur Projekte Münster finden seit 1977 im Abstand von zehn Jahren statt. Initiiert von Klaus Bußmann, dem damaligen Kustos und späteren Direktor des Westfälischen Landesmuseums gemeinsam mit Kasper König, der seitdem als Kurator jede Ausgabe in unterschiedlichen Teamkonstellationen mit verantwortet hat. König ist auch künstlerischer Leiter der fünften Ausgabe vom 10. Juni bis zum 1.?Oktober 2017, gemeinsam mit den Kuratorinnen Britta Peters?2, freie Kuratorin aus Hamburg, und Marianne Wagner?3, Kuratorin für Gegenwartskunst am LWL-Museum für Kunst und Kultur. Die Projektleitung liegt in den Händen von Imke Itzen. Frau Peters, Frau Wagner, wie sieht Ihre Arbeitsteilung aus?

B.P./M.W.: Die Kuratorenteams wurden immer schon unterschiedlich zusammengesetzt und jeder bringt andere Fähigkeiten, Interessen und Ideen mit. Kasper König, der die Ausstellung nun zum fünften Mal maßgeblich mitgestaltet, ist hinsichtlich seiner Erfahrungen mit der konkreten Situation in Münster definitiv unschlagbar. Britta Peters hat bereits mehrere größere Projekte im öffentlichen Raum realisiert, vor allem in Hamburg. Sie und Kasper König haben sich 2014 auf einer Konferenz zum Thema kennengelernt. Marianne Wagner hat nach ihrer Ernennung zur Kuratorin im Bereich Gegenwartskunst am Landesmuseum, parallel zu ihrer damaligen Arbeit am Aargauer Kunsthaus, sporadisch an den ersten Kuratorentreffen teilgenommen und ist dann im Juni 2015 ganz in das kuratorische Team der Skulptur Projekte eingestiegen. Mittlerweile arbeiten wir mit einer Gruppe von über 20 Leuten an der Realisierung der Ausstellung. Wie bei den vergangenen Ausgaben der Skulptur Projekte auch haben wir dafür zunächst einmal die KünstlerInnen, die uns interessieren, nach Münster eingeladen, mit der Bitte uns nach ihrem Besuch einen konkreten Projektvorschlag zu machen. Im Ping-Pong-Gespräch mit dem kuratorischen Team werden die Vorschläge diskutiert, Orte eruiert und Machbarkeiten geprüft. Auch die Entscheidung, wie wir mit dem Museum umgehen wollen, haben wir gemeinsam gefällt. Statt dort eine historische oder thematische Ausstellung zu zeigen, nutzen wir es als Projektstandort für vier bis fünf künstlerische Positionen. Ab einem bestimmten Zeitpunkt erwies es sich dann als sinnvoll, die organisatorische Betreuung der Projekte unter den Kuratorinnen und Assistenzen aufzuteilen. Trotzdem sprechen wir uns regelmäßig zum Stand der Dinge ab, anders geht es gar nicht und dieser interne Austausch ist sehr wichtig. Parallel finden eine Vielzahl von Gesprächen mit Ämtern und Verantwortlichen statt, bei denen das Projektmanagement von Imke Itzen eine essentielle Rolle spielt. Übergreifende konzeptionelle Fragen und thematische Felder, die in der Ausgabe der Skulptur Projekte 2017 stärker im Fokus stehen, entwickeln sich aus den Diskussionen innerhalb des Teams und vor allem durch die konkreten Projektvorschläge selbst, aus denen sich langsam das Profil der Ausstellung herauskristallisiert. Die Skulptur Projekte entstehen also in großer Nähe zu den KünstlerInnen, ihnen wird kein Thema vorangestellt.

J.Krb.: Der klassische öffentliche Raum war das »Forum Romanum«, dort wurden die gesellschaftlichen Angelegenheiten des Imperiums öffentlich verhandelt. Dem Ideal nach ist der öffentliche Raum in seinem Grundgedanken demokratisch geprägt, eine Sphäre, die keinen ökonomischen Interessen untergeordnet werden darf. Allerdings ist die Realität eine andere: Gebote, Verbote, Überwachungskameras. Fan-Meilen werden privatwirtschaftlich betrieben, polizeilich abgesichert und freier Zutritt verweigert. Wie definieren Sie den öffentlichen Raum?

B.P./M.W.: Wie Sie schon sagen, lassen sich Situationen, die als »öffentliche Räume« beschrieben, proklamiert oder reklamiert werden, schwer definieren. Öffentlicher Raum ist heute vor allem Verhandlungssache. Er konstituiert sich aus mehreren Elementen, in denen politische und rechtsstaatliche Strukturen mindestens ebenso wichtig sind wie die tatsächlichen Besitzverhältnisse. Die Situation in Russland liefert dafür ein anschauliches Beispiel: Der öffentliche Raum auf den Straßen und Plätzen ist traditionell staatlichen Machtinszenierungen vorbehalten. Eine kritische öffentliche Diskussion findet hier viel eher in privatem Rahmen statt. Öffentlicher Raum lässt sich längst nicht mehr auf städtebauliche Fragen und Zugangsrechte reduzieren. Mediale Räume wie das Internet und die sozialen Medien sind auch öffentliche Räume, was nicht heißt, dass dort zwangsläufig eine kritische Öffentlichkeit entsteht. Die gesellschaftliche Bedeutung dieser Räume ist nicht statisch. Sie ist – wie andere mit Regeln und Funktionen belegte Räume auch – vor dem Hintergrund von gesellschaftlichem Wandel zu begreifen. Deshalb geht es auch bei den Skulptur Projekten immer wieder aufs Neue um eine Zuweisung von Bedeutung, um eine Aufmerksamkeit für Verschiebungen. Der Hafen in Münster zum Beispiel ist so ein Ort, an dem sich die Kämpfe um Aufmerksamkeit aus unterschiedlichen Interessensrichtungen ständig überlagern. Die eine Seite ist als so genannter »Kreativkai« sehr konsumistisch ausgerichtet, die andere Seite wird zum Teil noch gewerblich genutzt. Das Projekt von Ayse Erkmen greift mit einem prekären Steg - einem direkt unter der Wasseroberfläche liegenden Gitterrost, der die beiden unterschiedlich genutzten Hafenseiten temporär miteinander verbindet und auf dem jeder nasse Füße bekommt – nicht nur bautechnisch die Frage auf, wie viel erlaubt ist, sondern auch welche Interessen sich um das Hafenbecken tummeln.

J.Krb.: Kunst im öffentlichen Raum ist eng verbunden mit dem Postulat von Hilmar Hoffmann »Kunst und Kultur für alle«. Kunst solle sich demokratisch positionieren, um ihrer gesellschaftlichen Verpflichtung, für jedermann zugänglich zu sein, gerecht zu werden.
Derzeit scheint diese Losung eine Renaissance zu erfahren. Niedrigschwellige Vermittlungsangebote sind en vogue. Oftmals ist die Rede von Bürgernähe und Teilhabe. Kunst wird bedeutungsschwanger aufgeladen: Kunst könne Emotionen ausgleichen, sinnstiftend wirken, dem Fortschritt dienen, die Klimakatastrophe verhindern und die Menschen zum Besseren erziehen. Insbesondere die Kulturpolitik zeigt einen starken Hang, Kunst in dieser Weise zu instrumentalisieren. Muss die Kunst an dieser ihr zugeschriebenen Omnipotenz scheitern, was kann Kunst heute leisten?

B.P./M.W.: In den 1990er Jahren gab es, ausgehend von den KünstlerInnen, ein großes internationales Interesse an partizipativen Projekten, als Stichwort wäre hier der durch Miwon Kwon geprägte Begriff »New Genre Public Art« zu nennen. Damals war das ein interessanter Versuch, verschiedene Öffentlichkeiten anzusprechen und sich mit den Mitteln der Kunst realpolitisch einzumischen. Daraus haben sich dann jedoch genau die Begehrlichkeiten entwickelt, die Sie beschreiben: Plötzlich entstand die Vorstellung, KünstlerInnen ließen sich als mobile Feuerwehreinheit überall da einsetzen, wo es soziale oder stadtentwicklungstechnische Probleme gibt. Gleichzeitig wuchs mit der wachsenden Durchsetzung neoliberaler Wirtschaftsformen die Bedeutung von »Kreativität«. Bildende Kunst war noch nie so populär wie heute. In dieser Gemengelage bestehen wir auf einer grundsätzlichen Funktionslosigkeit von Kunst. Um die Kunst als gedanklichen Freiraum zu erhalten, muss sie aus konkreten Zweck-Nutzen-Verwertungszusammenhängen ausgeklammert bleiben. Kunst ist eine spezielle Form von Kulturproduktion. Es ist per se utopisch, dass sie jeden erreicht. Das geschieht ja auch in anderen Gesellschaftssystemen nicht. Das Postulat »für alle« soll jedoch unbedingt dann gelten, wenn es um eine sinnvolle physische und eine finanziell erschwingliche Zugänglichkeit geht; die Skulptur Projekte sind zum Glück komplett gratis. Für alle in diesem Sinne ja, aber das heißt nicht, dass die Kunst es allen Recht machen muss und dass alle das Gleiche darunter zu verstehen haben.

J.Krb.: Insgesamt nehmen ca. 30 Künstlerinnen und Künstler teil. Die Künstlerliste umfasst Namen wie Ei Arakawa, Ayse Erkmen, Peles Empire, Alexandra Pirici, Michael Smith. Heute wie damals werden Künstler eingeladen, um für einen selbst gewählten Ort innerhalb der Stadt eine Arbeit zu entwerfen. Anschließend bitten Sie um konkrete Projektvorschläge. Aber Sie entscheiden sich zuallererst für und gegen bestimmte Künstlerinnen und Künstler. Was sind die Kriterien?

B.P./M.W.: Das entscheidende Kriterium ist unser Interesse an ihren bisherigen Arbeiten und nach wie vor eine Auseinandersetzung mit Skulptur im öffentlichen Raum, wenngleich der Begriff im Rahmen der Skulptur Projekte schon immer sehr weit ausgelegt wurde – denken Sie zum Beispiel an das Caravan Projekt von Michael Asher von 1977 bis 2007, aber auch an die Performances von Allan Ruppersberg und Reiner Ruthenbeck 1997 oder Dora Garcias »Beggar’s Opera« in 2007.

J.Krb.: Seit 1977 sind 35 Skulpturen in der Stadt verblieben. Beispielsweise die »Giant Pool Balls« (1977) von Claes Oldenburg, Thomas Schüttes »Kirschensäule« (1987), die »Ringe« (1977) von Donald Judd am Aasee. Zu den ortsspezifischen Gegebenheiten zählen auch die Projekte aller bisherigen Ausstellungen unabhängig davon, ob sie noch sichtbar in der Stadt präsent sind oder nur in Erzählungen und Dokumenten existieren. Nehmen Künstler den Dialog mit Werken von früheren Ausgaben auf und in welcher Form geschieht das?

B.P./M.W.: Ja, die sogenannte Exhibition Site Specificity spielt für alle KünstlerInnen eine große Rolle, da sie ja auch bei ihren ersten Besuchen in der Stadt mit vielen Werken aus vorangegangenen Ausstellungen konfrontiert werden. Einige suchen auch 2017 den direkten Bezug, etwa Michael Smith, der alle KünstlerInnen der vergangenen Ausstellungen um Zeichnungen für sein Tattooprojekt gebeten hat. Auch Nairy Baghramian bezieht sich mit ihrem Projekt direkt auf die Geschichte und Struktur der Ausstellung. Ein wichtiger Bezugspunkt sowohl für uns als kuratorisches Team wie auch für die KünstlerInnen ist dabei das Archiv der Skulptur Projekte aus dem wir alle schöpfen. Wir nähern uns dem Archiv nicht so sehr mit einem retrospektiven Blick, sondern verstehen es vielmehr als Quelle für Ideen.

J.Krb.: Wie wird sich die Kunst im öffentlichen Raum entwickeln – werden temporäre Interventionen oder auf Dauer angelegte Projekte überwiegen?

B.P./M.W.: Wir können nicht in die Zukunft schauen und eine Prog-nose für »die Kunst im öffentlichen Raum« formulieren. Für das Ausstellungsformat der Skulptur Projekte galt seit ihrer ersten Ausgabe und gilt bis heute: Auch wenn immer mal wieder Arbeiten durch das Museum, die Stadt, die Universität oder Privatleute erworben werden, sind die Werke temporär angelegt, das ist eine ihrer wichtigsten Bedingungen. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass die Skulptur Projekte zu einem Showroom für mögliche Ankäufe verkommen. Wir denken, es wäre eine spannende Ergänzung der Öffentlichen Sammlung, wenn eine der performativen Arbeiten angekauft werden würde.

Joachim Kreibohm