Portrait

Feuertanz während der Sommersonnenwendefeier zur Wiederbelebung der wedisch-slawischen Ahnenkultur, Krasnojarsk, Sibirien, Archival Pigment Print, 90?×?160?cm, From the Series: »Licht und Angst«, 2016, Courtesy Julian Röder and Galerie Russi Klenner

Textauszug

Julian Röder
Der junge Photograph Julian Röder war damals einer der Demonstranten. Und er machte während der Proteste und in ihrem Umfeld Photos, Photos, die sowohl zu dokumentarischen wie zu künstlerischen Zwecken eingesetzt werden können. Jean-Luc Godard war es, der den Unterschied von Dokumentation und Kunst einst so umschrieb: »Wenn Interesse involviert ist, dann ist es Kunst«. Genau in diesem Spannungsfeld von engagiertem Interesse und ästhetischem Anspruch bewegen sich die Arbeiten von Julian Röder, der in Leipzig und Hamburg studierte, zuvor zudem bei den fast schon legendären Ostkreuz-Photographen gelernt hatte. Diese Spannung, und dieses wird immer wieder überaus gerne »vergessen«, ist eine, die sich durchaus nicht zuletzt auch innerhalb des Kunstfeldes austrägt. Die »freie«, sogenannte »autonome« Kunst ist nun einmal nur die eine Seite der modernen Kunst, die andere ist die, die herablassend oftmals als angewandte oder engagierte bezeichnet wird. Gerade im Bauhaus z.?B. aber wurden beide Formen der Kunst als überaus gleichwertig behandelt. Und John Heartfield oder George Grosz waren damals durchaus akzeptierte Künstler!

Abschließend sei also kurz ein Blick auf Röders neue Werkreihe »Licht und Angst«, 2016, die jüngst in seiner Einzelausstellung im Berliner Haus am Waldsee zu sehen war, geworfen. Hier thematisiert er irrationales und esoterisches Gedankengut sowie die Konjunktur, die das Ausleben solcher Ideologien heute wieder hat. Also ist der Künstler nach Sibirien gereist und hat dort an dem Sommersonnenwendefestival, das dort im Rahmen alt(un)ehrwürdiger slawischer Ahnenkulturen alljährlich gefeiert wird, als vermeintlich gleichgesinnter Gast teilgenommen. Die Resultate dieser gleichsam »verdeckten Ermittlung« sind dann Fotos des Festivals, die z.?B. junge, blumenbekränzte Frauen in folkloristischen Trachten vorstellen. Oder da ist eine Gruppe der »Jünger« dieser obskuren Traditionen zu sehen, fast schon ekstatisch tanzend um ein nächtliches Lagerfeuer. Besonders ins Auge fällt auf einem weiteren Bild eine rücklings abgelichtete Frau im weißen Gewand mit erhobenen, der wohl aufgehenden Sonne entgegengestreckten Armen, denn dieses Photo erinnert nicht von ungefähr an eine Bildsprache, die man aus der Zeit der präfaschistischen Jugendbewegung kennt.

Dieses Zitat nun lädt das Event in Sibirien mit einer überaus fragwürdigen Referenz auf - die auf den ersten Blick vielleicht affirmativ erscheinende Haltung Röders erweist sich so als eine kritisch-entlarvende. Eine vergleichbare künstlerische Strategie verwendet Röder auch in einem anderen Teil von »Licht und Angst«, in dem er dem Phänomen der »Gedankenphotographie« nachgeht. Die Gedankenphotographie entstand am Ende des 19. Jahrhunderts und ging davon aus, dass sich die Denkvorgänge im Gehirn mit Hilfe von lichtempfindlichen Platten, die mit einem Band vor der Stirn eines Menschen angebracht werden, abgelichtet werden können. Einen solchen »Radiographen« baute Röder für sein Projekt »Licht und Angst« nach, band sich diesen um und las dann Schriften antisemitischen, völkischen und faschistischen Inhalts, z. B. Oswald Spenglers »Untergang des Abendlandes«. Währenddessen machte der Künstler gedankenfotographische Aufnahmen von sich. Den so entstandenen Aufnahmen, diesen farbig-abstrakten »Gedankenbilder«, werden dann Photos zur Seite gestellt, die zeigen, wie er mit aufgesetztem Radiographen jeweils eines dieser Bücher liest. Auch in dieser Arbeit also lässt sich Röder auf postfaktische Phänomene ein und analysiert diese scheinbar einverstanden, um sie dann gerade dadurch ideologiekritisch beurteilen zu können. Und das macht jetzt leider notwendigen Sinn.

Raimar Stange