Artist Ausgabe Nr. 106

Portraits

Oliver Ressler | Michael E. Smith | Christiane Gruber | Joan Mitchell | Timur Si-Qin

Interview

Yilmaz Dziewior

Page

Hannah Regenberg

Interview

Yilmaz Dziewior, Direktor, Museum Ludwig, Köln, Foto: Thomas Brill

Textauszug

Yilmaz Dziewior
J.Krb.: Konservativ, verstaubt, behäbig sind Adjektive, die häufig einem Museum zugeschrieben werden. Warum drängt es Sie und viele Ihrer Kollegen wie Stephan Berg, Udo Kittelmann, Karola Kraus, Susanne Titz oder René Zechlin vom Kunstverein ins Museum? Was macht den Reiz musealer Arbeit aus?

Y.D.: Ich kann nur für mich und nicht für meine Kolleginnen und Kollegen sprechen. Aus meiner Sicht ist ein Museum der ideale Ort um längerfristig zu arbeiten. Die Beschäftigung mit der Sammlung ist in diesem Zusammenhang besonders attraktiv. Jede Ausstellung ist nach /Yilmaz Dziewior im Gespräch mit Joachim Kreibohm einer gewissen Zeit vorbei und auch, wenn ein Katalog deren Inhalte ein Stück weit längerfristiger vermittelt, so ist es doch die Sammlung eines Museums, die dauerhaft Bestand hat.

J.Krb.: »Die Kunstwelt scheint sich der Wirtschaft angepasst zu haben: Wachstum ist die einzige Erfolgsformel«, so die Ankündigung des im November letzten Jahres durchgeführten Symposiums »Grenzen des Wachstums. Das Kunstmuseum gestern, heute und morgen« in der Staatsgalerie Stuttgart. Die Frage nach einem zukunftsweisenden Museumsmodell stand im Zentrum. Christiane Lange, Leiterin der Staatsgalerie, sieht die Museumslandschaft an den „Grenzen des Wachstums“ und stellte die Frage: »Gibt es vielleicht einfach zu viele Museen«. Kann es überhaupt zu viele Museen geben?

Y.D.: Ich halte es für problematisch, wenn große Museen behaupten, es gäbe zu viele Museen. Es ist gerade ein Charakteristikum der deutschen Museenlandschaft, dass es in Deutschland so viele Institutionen gibt, angefangen bei Kunstvereinen, Kunsthallen bis hin zu den unterschiedlichen Museen. Wo ich Ihnen Recht gebe, ist die Kritik an der unhinterfragten Befürwortung des Wachstums im Kunstbetrieb. Wir brauchen weder mehr noch weniger Museen, sondern die Qualität der Arbeit, die immer auch an das Budget gekoppelt ist, sollte im Vordergrund stehen. Im Gegensatz zur Wirtschaft zeichnet sich die Kunst gerade dadurch aus, nicht unbedingt effizient und zielorientiert sein zu wollen.

J.Krb.: Steigen kunstgeschichtliche Bedeutung und monetärer Wert von Kunst, sofern sie in einem Museum präsentiert wird. Vermischen sich inzwischen normative und monetäre Kategorien?

Y.D.: Schon Pierre Bourdieu hat das Verhältnis von kulturellem und ökonomischem Mehrwert und deren gegenseitige Abhängigkeit beschrieben. Dies ist kein neues Phänomen. Neu ist jedoch der Umfang, mit dem heute Museen als »Durchlauferhitzer« für Privatsammlungen genutzt werden, indem Werke zehn Jahre dem Museum überlassen werden, was dem Sammler Depotkosten spart, er sie dann verkaufen kann und noch Steuern spart. Glücklicherweise gibt es aber auch andere Sammlertypen, die an einer ernsthaften und längerfristigen Zusammenarbeit interessiert sind und deshalb nicht selten auch in Form von Schenkungen agieren.

J.Krb.: Falsch oder richtig greift bei der Beurteilung einer Mathematikarbeit. Jeder hat hier so seine Erfahrungen machen müssen. Aber was sind die Kriterien der Beurteilung von Kunst. Zum einen, so denke ich, gibt es keine rein objektiven Kriterien, zum anderen bliebe die Kriterienbildung zufällig oder gar beliebig, dann wäre die Kunst doch belanglos. Liegt in dieser Ambivalenz der Reiz, um über Kunst zu urteilen?

Y.D.: Aus meiner Sicht verhält es sich in der Kunst wie bei anderen Spezialgebieten. Es gehört sowohl Talent als auch langjährige Erfahrung dazu, um sich eine Urteilsfähigkeit anzueignen. Mir gefällt es gerade gut, dass es kein Richtig oder Falsch gibt, und ich selber fälle mein Urteil mit dem Bewusstsein, wie sehr dieses durch meine eigene Sozialisierung, die Zeit, in der ich lebe und meine Vorlieben geprägt ist.

J.Krb.: Ihnen ist das Museum Ludwig bestens vertraut. Anfang bis Mitte der 1990er Jahre haben Sie dort als Student gearbeitet. 1997 führten Sie als freier Kurator ein Projekt mit Sarah Lucas durch und 1999 zeichneten Sie für den zeitgenössischen Teil der Ausstellung »Kunstwelten im Dialog. Von Gauguin bis zur globalen Gegenwart« verantwortlich. Diese Ausstellung scheint nachhaltig ihre kuratorischen Fragestellungen bis heute geprägt zu haben. Was verstehen Sie unter globalem Diskurs und kultureller Identität?

Y.D.: Diese Diskussion sehe ich nicht losgelöst von meiner eigenen Biografie. Abgesehen von der von Ihnen erwähnten Ausstellung »Kunst im Dialog«, bei der ich mich früh mit diesen Fragen beschäftigt habe, wurde ich auch durch meinen Namen immer wieder aufgefordert, mich kulturell zu verorten. Dabei erschienen mir diese Erwartungen oft paradox. Trotz meines türkischen Vornamens und meines polnischen Nachnamens, habe ich ausschließlich eine deutsche Sozialisierung erfahren. Trotzdem habe ich mich seit den Anfängen meiner Laufbahn immer mit Künstlern aus Asien, Afrika und Lateinamerika beschäftigt, bei denen die eigene kulturelle Verortung nicht selten ein Thema ihrer Arbeit darstellte.

J.Krb.: Die jeweilige Sammlung macht die Stärke der Institution Museum aus, ist aber gleichermaßen statisches Element, auch wenn sie noch so attraktiv ist. Man kann eine Sammlung historisch, themen- oder raumbezogen hängen, aber eben nur das präsentieren, was die Sammlung hergibt. So mutieren Museen zu Ausstellungshallen, lassen die nötige Trennschärfe vermissen, rücken Wechselausstellungen und vor allem Block Buster mit den zu erwartenden hohen Besucherzahlen in den Fokus. Inzwischen scheint erkannt zu sein, dass die Fixierung auf Wechselausstellungen die Museen als Museen überflüssig macht. Wie beurteilen Sie die Lage?

Y.D.: Ich teile die Meinung, dass die Sammlung des Museums im Zentrum stehen sollte und die Aktivitäten der Institution von hier ausgehen sollten. Dies trifft auf Wechselausstellungen, Vorträge und Filmvorführungen zu. Anlässlich unseres 40-jährigen Jubiläums haben wir die Sammlung neu präsentiert und chronologisch vom 3. Stock angefangen, wo wir unsere frühsten Arbeiten (Picasso, Russische Avantgarde, Expressionismus) präsentieren, über den 2. Stock (Konzeptkunst der 1950er bis 1970er Jahre, Abstrakter Expressionismus, Pop Art) bis zur Gegenwart im Untergeschoss. Auch die großen Bereiche im Treppenhaus sind der Gegenwart gewidmet und ziehen sich so wie ein Rückgrat durch das gesamte Haus. Während die frühen Kunstrichtungen für die Besucherinnen und Besucher an derselben Stelle zu finden sein werden, beabsichtigen wir, die Zeitgenossen im zweijährigen Turnus zu wechseln. Nicht nur, weil die Exponate raumfüllend sind, sondern auch, weil wir so viele Werke in der Sammlung haben.

J.Krb.: Kokettieren Sie gegenüber der Politik mit Besucherzahlen und gegenüber dem kundigen Publikum mit positiven Besprechungen aus der Fachpresse? Wie definieren Sie Erfolg?

Y.D.: Besucherzahlen sind relativ und werden zu einem großen Teil von äußeren Faktoren beeinflusst. Bei der Joan Mitchell Ausstellung in Bregenz gab es ca. 20.000 Besucher, in Köln haben wir fast viermal so viel. Dies liegt jedoch nicht an der Ausstellung, sondern an dem Ort und der Größe der Institution.

J.Krb.: In diesem Jahr feiert das Museum Ludwig dreifaches Jubiläum. Und Ihre Planungen?

Y.D.: Das Museum Ludwig feiert 2016 gleich drei Jubiläen. 1946 wurde unserer Vorläuferinstitution, dem Wallraf-Richartz-Museum, die Sammlung Haubrich geschenkt. Vor 40 Jahren unterschrieben Peter und Irene Ludwig den Schenkungsvertrag, der zur Gründung unseres Museum geführt hat und seit 30 Jahren befindet sich das Museum Ludwig nun zwischen Dom und Rhein. Diese Ereignisse feiern wir nicht nur mit einem Haubrich Tag und einem Ludwig Fest sondern auch mit einer historischen Ausstellung. Ausgehend von einem großen Wandbild von Fernand Léger, das Peter und Irene Ludwig zum Einzug in unser neues Haus in den 1980er Jahren erworben haben, untersucht Katia Baudin das Verhältnis Fernand Légers zur Architektur. Im Frühherbst kuratiere ich mit all unseren Kuratorinnen und Kuratoren hier im Haus die Ausstellung »Wir nennen es Ludwig«. Hierfür haben wir 24 Künstler eingeladen, neue Arbeiten zu produzieren, die ihre Sicht auf die Institution werfen. Es sind sowohl Künstler wie Gerhard Richter und Rosemarie Trockel aus Köln wie auch jüngere und unbekanntere Künstler wie die Villa Design Group oder Pratchaya Phinthong dabei. Gleichzeitig haben wir das Spektrum auch geografisch erweitert und bewusst auch Positionen aus Afrika, Asien und Lateinamerika eingeladen. Gemeinsam mit den Künstlerinnen und Künstlern werden wir überlegen und ausstellen, was die Besonderheiten des Museum Ludwig sind.

Joachim Kreibohm