Artist Ausgabe Nr. 106

Portraits

Oliver Ressler | Michael E. Smith | Christiane Gruber | Joan Mitchell | Timur Si-Qin

Interview

Yilmaz Dziewior

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Hannah Regenberg

Portrait

Installationsansicht, Kunstverein Hannover, 2015, Foto: Ladislav Zajac, KOW

Textauszug

Michael E. Smith
Nur die Videofilme des Künstlers tragen Titel, Dateinamen, um sie in seinem Archiv kenntlich zu machen. Alle anderen Werke von Smith haben keine Titel, weil der Künstler die Aufmerksamkeit der Betrachter in keinerlei bestimmte Richtung lenken möchte. Er will den direkten Dialog zwischen Werk und Betrachter. Nicht einen Betrachter, der nachvollzieht, was dem Künstler vorschwebt, sondern der seinen eigenen Weg ins Werk sucht. Auch für sich selbst reklamiert er diese Offenheit. Smith ist ein beständig Suchender. Immer wieder befragt er seine Werke neu, ändert und ergänzt sie oder verändert den Standort ihrer Aufstellung. In dieser Haltung gibt er sich auch nicht mit dem Status des White Cube zufrieden. Er will weder Purismus noch Exponiertheit oder gar eine Sakralisierung seiner Werke. Der Alltag und das Leben mit seinen Unzulänglichkeiten sollen nicht draußen bleiben, sondern Smith will sie hereinholen in die Kunsthäuser. Daher lässt er alle textlichen Hinweise auf sich und seine Werke verschwinden; sie sollen ganz beiläufig in Erscheinung treten. In der Regel ändert er auch das Lichtkonzept der Räume, in denen er ausstellt. Im hannoverschen Kunstverein hat er im ersten Ausstellungsraum eine Leuchtröhre entfernt und das elektrische Licht heruntergeregelt – das ist die Arbeit. Ansonsten bloß keine Spots auf die Werke, sondern möglichst natürliches Tageslicht. Und vor allem keine Werkfülle. Sie wirkt auf Smith anscheinend ähnlich lähmend wie auf den älteren Cato Menschenansammlungen, die er hasste und mied. Die Goslarer Werke umfassten insgesamt nicht mehr als 17 Exponate. Im Kunstverein Hannover sind es jetzt, gemessen an seinen vergleichsweise größeren Räumen, eher noch weniger. Den berühmten Gedichtanfang eines großen deutschen Dichters variierend, könnte man sagen: »So viel Leere war nie.« Sie hat System. Mit ihr konzentriert der Künstler den Blick des Betrachters. Er fordert seine Wahrnehmung heraus und sensibilisiert sie für die Bedeutungen seiner Werke. Steigt der Besucher in der hannoverschen Sophienstrasse die große Treppe des Kunstvereins zu den Räumen im ersten Stock herauf, begegnet er bereits dem ersten Werk von Smith. Nicht zentral und raumgreifend, sondern unscheinbar und marginalisiert. Eingezwängt zwischen Treppenhandlauf und Wand stößt er auf ein schlichtes, dunkles Textilobjekt; vielleicht der bescheidene Kleidersack eines Obdachlosen, seine letzte Habe, oder auch Hinweis auf einen Körpertorso, einen Menschenrest. Schon hier stellt sich mit Wucht die Frage, wer der Mensch ist und was von ihm bleibt. Im ersten Stock angekommen und bevor er noch den ersten Ausstellungsraum betreten hat, prallt der Besucher auf ein Objekt von Michael E. Smith, das sich in ähnlicher Form als Leitmotiv durch die Ausstellung zieht. Eine Assemblage, die aus einem großen Warmwasserboiler aus Stahl und einem Surf- oder Tauchanzug aus Neopren besteht, der ausgebreitet über dem Gerät liegt. Der Materialgegensatz ist nicht allein ästhetisch von hohem Reiz. Er bildet auch spezifische Bedeutungsdimensionen ab, wie sie charakteristischer für das Werk von Smith nicht sein könnten. Die unterschiedlichen Elemente der Arbeit lassen einerseits an den Menschen und andererseits an Systeme denken, mit und in denen er sich einrichtet. Wobei das Motiv des Wassers, das ihnen gemeinsam ist, die innige Verbindung, ja, symbiotische Abhängigkeit beider hervorhebt. Dass Systeme immer auch gefährlich sind für den Menschen, betonen die Gefahrenhinweise auf den Boilern, aber auch die wie gekreuzigt auf ihnen liegenden Gummianzüge. Dass Smith den Menschen im Visier der Machtmechanismen der kapitalistischen Gesellschaft sieht, haben seine früheren Werke bereits eindringlich demonstriert. Nun tun das in ungewöhnlicher Weise auch zwei neue Videos, die der Künstler in der Ausstellung zeigt. Fundstücke aus dem Internet und über das Motiv des Wassers mit der Assemblage verbunden. Sie zeigen, wie ein Konsument, bekleidet mit Schuhen, Hosen, Shirts und Jacken von Trend-Herstellern, in eine mit Wasser gefüllte Badewanne steigt und sich dabei filmt. Wie in einer Vitrine treten die Trademarks der Klamotten deutlich hervor, zugleich werden sie aber auch irgendwie ertränkt. Eine ähnliche Ambivalenz eignet den riesigen Werbeplanen aus wetterfestem Kunststoff, die Smith in den schwer zu bespielenden, großen Räumen des Kunstvereins ausgelegt hat. Indem er ihre schwarzen Rückseiten statt der schreienden Vorderseiten zeigt, hat er die verdummende Werbung erstickt und zum Schweigen gebracht. Darüber hinaus treten die Planen aber auch in einen schönen Dialog mit dem White Cube der Ausstellungsräume und den hellen Rasterdecken über ihnen. Er könnte symbolischer nicht sein: Schwarz und Weiß, Gut und Böse, Kunst und Leben finden hier zu einer gelingenden Allianz, die tröstlich ist und Mut macht. Das vielleicht dramatischste und pathetischste Objekt der Ausstellung von Michael E. Smith kommt aus der Reihe seiner gefundenen Vogelhäuschen, deren Armseligkeit für sich genommen schon im äußersten Maße berührend ist. In der Version des Künstlers greift ein großer, schwarzer Handschuh nach ihm, der ebenso sehr Schutz wie Bedrohung bedeuten könnte. Eine Dialektik, die ganz ähnlich auch das menschliche Leben bestimmt.

Michael Stoeber