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Artist Ausgabe Nr. 99

Portraits

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Interview

Moritz Wesseler

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Uschi Huber

Interview

Moritz Wesseler, Direktor Kölnischer Kunstverein, Foto: Courtesy Volker Bradtke

Textauszug

Moritz Wesseler
J.Krb.: Du bist 1980 in Bremerhaven geboren, studiertest Kunstgeschichte und Betriebswirtschaftslehre in Mainz und Paris. Erste kuratorische Erfahrungen konntest Du in Bremerhaven sammeln, wo Du für Ausstellungen mit Künstlern wie Cathy Wilkes, Martin Boyce, Ceal Floyer, Anri Sala, Manfred Pernice, Luc Tuymans oder Gregor Schneider im Kabinett für aktuelle Kunst verantwortlich zeichnest. Gemeinsam mit Mario Kramer und Gregor Schneider hast Du am Museum für Moderne Kunst in Frankfurt von 2009 bis 2010 die Ausstellungsreihe »Double« ausgerichtet. Im Rahmen Deines wissenschaftlichen Volontariats an der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen wurden von Dir Ausstellungsprojekte von Michael Sailstorfer, Kris Martin und Jordan Wolfson verantwortlich betreut. Bis zum Sommer 2013 warst Du künstlerischer Leiter von »Fürstenberg Zeitgenössisch« in Donaueschingen und Heiligenberg. Die Vergabe von Stipendien, die Ausrichtung von Ausstellungen in den »Fürstlich Fürstenbergischen Sammlungen« in Donaueschingen sowie der Aufbau einer zeitgenössischen Kunstsammlung waren Deine zentralen Arbeitsfelder. Am 1. Juli 2013 tratest Du als Direktor des Kölnischen Kunstvereins die Nachfolge von Søren Grammel an, der nach nur einem Jahr an das Museum für Gegenwartskunst in Basel wechselte. Philipp Kaiser, zunächst als Direktor des Museums Ludwig gefeiert, verließ das Museum nach nur 15 Monaten. Bringen Gastspiele dieser Art die jeweiligen Institute in Bedrängnis, werden sie gar zur Regel?

M.W.: Phillip Kaiser hat am Museum Ludwig eine hervorragende Arbeit geleistet. Nach der wichtigen und prägenden Ära von Kasper König hätte kaum jemand vermutet, dass es so schnell zu einem Richtungswechsel innerhalb des Hauses kommen würde. Insbesondere die Neupräsentation der Sammlung konnte man als sehr erfrischend empfinden. Insofern war es durchaus schade, dass der neu eingeschlagene Weg unterbrochen wurde. Dennoch habe ich Respekt für die Entscheidung von Phillip Kaiser. Da das Museum Ludwig sehr gut aufgestellt ist, glaube ich nicht, dass die Institution durch den Weggang in Bedrängnis geraten wird. Gleiches gilt auch für den Kölnischen Kunstverein, der eine lange Geschichte, einen soliden und engagierten Vorstand und nicht zuletzt ein sehr professionelles und passioniertes Team hat. Der Wechsel von Søren Grammel an das »Museum für Gegenwartskunst« in Basel ist absolut nachvollziehbar. Das Haus ist renommiert und Søren Grammel strebte nach neuen Herausforderungen.

J.Krb.: Die Liebe zur zeitgenössischen Kunst ist Dir schon in die Wiege gelegt. Lawrence Weiner hat Dir eine Arbeit zu Deiner Geburt geschenkt. Dein Vater Jürgen Wesseler, ehemals Vermessungsingenieur beim Bremerhavener Stadtplanungsamt, ist seit über 45 Jahren Spiritus rector des Kabinetts für aktuelle Kunst. Ein 33 qm kleiner Ausstellungsraum, aber ein Ort von internationaler Bedeutung. 25 Jahre war er auch Vorsitzender des Kunstvereins Bremerhaven und hat maßgeblich zur Gründung des 2007 eröffneten Kunstmuseums beigetragen. Viele Söhne berühmter Eltern leiden unter dieser Last und konnten keineswegs in deren Fußstapfen treten, so die Söhne von John Lennon und Alain Delon, das gilt auch für den Kunst- und Politikbetrieb. War es bei Dir Ansporn, Belastung oder Bereicherung in einem kunstaffinen Elternhaus aufzuwachsen?

J.Krb.: In den Anfängen der Kunstvereine war das klassische Bildungsbürgertum maßgeblich Gründer und Träger dieser Vereine. Wer bildet heute die soziale Basis eines Kunstvereins, sind es immer noch die Mitglieder, die den Verein zu einem funktionierenden Gefüge machen?

M.W.: Da ich fest an die Relevanz von Kunstvereinen glaube, sehe ich auch nach wie vor die Bedeutung der Mitglieder für diese Institutionsform. Am Kölnischen Kunstverein haben wir aus diesem Grunde im letzten Jahr eine Tradition begründet, die den Stellenwert unserer Mitglieder unterstreicht: Wir geben alljährlich eine signierte und eigens für den Kunstverein gestaltete Edition heraus, mit der wir uns bei den Mitgliedern für ihre Unterstützung bedanken. Die erste Produzentin unserer »Vereinsgabe« war keine geringere als Rosemarie Trockel, was dazu führte, dass wir innerhalb von nur zwei Monaten fast 300 neue Mitglieder gewinnen konnten. Gleichwohl ist der Kölnische Kunstverein – und das gilt sicherlich für die Mehrheit dieser Institute – auf die Förderung Dritter angewiesen. Die Mittelakquise gehört insofern zum festen Bestandteil meiner Arbeit, ohne die wir sicherlich nicht funktionieren könnten.

J.Krb.: Und Dein Programm?

M.W.: Mein eigentliches Programm für den Kölnischen Kunstverein begann erst im Februar 2014 mit einer Präsentation von Pietro
Roccasalva. Es handelte sich um die erste institutionelle Einzelausstellung des Künstlers in Deutschland, was die Programmatik für dieses Jahr im Wesentlichen bestimmen soll. Ich sehe den Kölnischen Kunstverein durchaus als eine Plattform für künstlerische Positionen, die noch nicht oder nur wenig in Deutschland präsent waren. Dieser Haltung entsprechend zeigen wir im weiteren Verlauf des Jahres Arbeiten der Rumänin Andra Ursuta und des Kanadiers Gareth Moore. Beide Künstler wurden zwar jüngst auf der Biennale in Venedig bzw. auf der documenta einer internationalen Öffentlichkeit präsentiert, sind aber in den hiesigen Gefilden noch weitestgehend unbekannt. Mit derartigen Präsentationen versuche ich die gute Tradition meiner Vorgängerinnen und Vorgänger fortzuführen, die mit bemerkenswerter Sensibilität und Weitsicht viele mittlerweile international bekannte Größen frühzeitig in der Domstadt ausstellten. Wenngleich wir mit Nathalie Djurberg & Hans Berg anlässlich der Art Cologne ein Künstlerduo ausgewählt haben, das international sehr bekannt ist, sehe ich deren Präsentation in gewisser Weise in dieser Linie. Als Deutschlandpremiere zeigten wir – neben großformatigen Skulpturen sowie den bekannten Stop-Motion-Erzählungen – den ersten »abstrakten« Film des Künstlerduos, der neue Perspektiven auf dessen fantastisches Werk eröffnet und insofern gut in den Kontext einer experimentelleren Plattform wie dem Kunstverein passte. Gleichwohl unternahmen wir mit dem spezifischen Projekt durchaus auch den Versuch, das Angebot an Ausstellungen während der Art Cologne mit einem besonderen Programm zu ergänzen.

J.Krb.: Rankings über Rankings: die besten Songs, Olivenöle und Restaurants, die am besten und die am schlechtesten gekleideten Politiker. Da will der Kunstbetrieb nicht im Abseits stehen. So gibt es ein Ranking der besten Ausstellungen des Jahres, hier eine watch-list, dort eine short-list und last but not least ein Ranking der besten Künstlerinnen und Künstler. Interessieren Dich diese best of?

M.W.: Nein, die Hitparaden haben mich nie sonderlich interessiert. Sie sind zu stark von modischen Strömungen abhängig. Aus diesem Grund habe ich mich zumeist mit Künstlern beschäftigt, die nicht zu stark im Fokus stehen.

J.Krb.: Die Balance von wahrer Kunst und Kunst als Ware ist längst aus dem Gleichgewicht geraten. Deskriptive und normative Kategorien verschränken sich, monetäre Erfolge ziehen kunstgeschichtlichen Glanz nach sich. Auktionsrekorde mutieren zu Qualitätsrekorden. Besucherzahlen gelten als Beleg von Vortrefflichkeit. Wie definierst Du Erfolg?

M.W.: Erfolg kann man sicherlich nicht an Verkaufspreisen oder Besucherzahlen messen, vielmehr ist die Intensität des Besuchs entscheidend. Ich denke, dass eine Ausstellung eine Bedeutung hat, wenn man nach längerer Zeit noch über diese spricht, wenn sie zu ästhetisch und intellektuell anspruchsvollen Ergebnissen führt. Im Fall des Kölnischen Kunstvereins könnte man die von mir erwähnten Projekte meiner Vorgängerinnen und Vorgänger als wichtige und daher auch erfolgreiche Ausstellungen bezeichnen.

Joachim Kreibohm