vergriffen

Artist Ausgabe Nr. 99

Portraits

Asco | Pierre Huyghe | Yevgenia Belorusets | Tobias Rehberger | Ulla von Brandenburg

Interview

Moritz Wesseler

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Uschi Huber

Portrait

Aus der Serie »Euromaidan – Besetzte Räume«, Alltagszene aus Kiew, 13. Dezember 2013

Textauszug

Yevgenia Belorusets
In ihrem Ausstellungsprojekt »A room of my own«, 2012, zeigt Yevgenia Belorusets realistische Photos von Paaren in alltäglichen Szenen. Genauer: Die junge aktivistische Künstlerin zeigt auf ihren sensiblen Schwarzweiß-Photos schwule, lesbische und transgender Paare, mal auf dem Sofa sitzend, dann im Raum stehend, mal mit, mal ohne Kinder. Die Paare werden dabei weder glorifiziert noch sind da explizit sexuelle Handlungen zu sehen – und dennoch wurde die komplette Ausstellung in Kiew 2012 von homophoben Vandalen zerstört. Auch wenn diese Form der Auseinandersetzung zwar aggressiv, aber offensichtlich wenig diskursiv ist, so zeigt sie doch, dass Belorusets mit ihren Bildern, mit ihrer inszenierten Gegenöffentlichkeit einen Nerv ihrer Heimat Ukraine getroffen hatte. So gelang es ihr sich mit »A room of my own« in die leider nicht nur dort aktuelle Diskussion über die Menschenrechte von Homosexuellen einzuklinken.

Ein kurzer Exkurs: In den 1990er Jahren waren es der Brite Richard Billingham mit seinen gnadenlos realistischen, aber eben nicht voyeuristischen Porträts der eigenen Familie in ihrer heruntergekommenen Sozialwohnung und vor allem der Ukrainer Boris Mikhailov, der Chronist“ der sozialen Wirklichkeit in der UdSSR, die eine realistische Photographie im Kunstkontext vorstellten. Heute sind es u.a. der Berliner Tobias Zielony und mit Yevgenia Belorusets wiederum eine Ukrainerin, die sich markant in dieser Tradition behaupten.

Und wieder wird schnell die Frage gestellt, ob deren Arbeiten eigentlich (autonome) Kunst sei oder bloß (agitatorische) Dokumentation. Dieser abwehrende Reflex verwundert um so mehr, als die realistische Photographie von Anfang an zum Kanon moderner Kunst gehörte, man denke nur an die frühen Milieustudien des Franzosen Brassai oder an den US-Amerikaner Walker Evans und seine Aufnahmen verarmter »Weißer« in den Südstaaten der USA aus den 1930er Jahren. Für ihre Ausstellung »Euromaidan. Besetzte Räume« im Berliner Projektraum OKK ist Belorusets, die auch Gründerin und Redakteurin des ukrainischen Literaturmagazins »Prostory« ist, im letzten Dezember für zwei Wochen nach Kiew geflogen. Dort hat sie dann, also vor der brutalen Eskalation der staatlichen Reaktionen auf den anhaltenden Widerstand, mit den Demonstranten auf dem Maidan gelebt und die Revoltierenden auf dem inzwischen sagenumwobenen Platz und in den anliegenden Straßen fotografiert.

Auf den wieder überwiegend schwarz-weißen Photos sieht man die Demonstranten in Konfrontation mit Polizei und Militär oder vor ihren Zelten selbstbewusst, beinahe trotzig ausharrend. Solche Aufnahmen zählen heute längst zu dem Kanon einer Ästhetik des Widerstandes, spätestens seit den Tagen des Arabischen Frühlings und den beinahe gleichzeitig startenden Aktionen der Occupy-Bewegung kennen wir solche Bilder wieder. Wichtiger aber sind in der intelligent komponierten und sein Thema behutsam entwickelnden Ausstellung die Photos, die Menschen in besetzten Räumen zeigen, beim gemeinsamen Schlafen etwa, oder zu zweit auf der Straße mit Schlafsack verharrend, oder wartend in kargen, ja ärmlichen Wohnungen. Belorusets sieht das Warten, das Ausharren als entscheidendes Charakteristikum dieses Bürgerprotestes.

Die BewohnerInnen eines verotteten Mietshauses im historischen Zentrum Kiews stehen im Mittelpunkt des Langzeitprojektes »Gogol Street 32« seit 2006. Die ärmlichen Lebensumstände in diesem Haus, das von der Kommune offiziell als längst nicht mehr bewohnbar eingestuft worden ist, und die Art und Weise wie dessen Bewohner zum Teil seit Jahrzehnten mit diesen asozialen Umständen dennoch überaus sozial umgehen, hat Yevgenia Berlorusets in ihren Aufnahmen festgehalten, dieses Mal sowohl in schwarzweiß wie in Farbe photographiert.

Diese Kunst ist also nicht nur dokumentarisch und poetisch zugleich, sie ist vor allem auch ein Medium für eine angestrebte gesellschaftliche Veränderung.

Raimar Stange