vergriffen

Artist Ausgabe Nr. 99

Portraits

Asco | Pierre Huyghe | Yevgenia Belorusets | Tobias Rehberger | Ulla von Brandenburg

Interview

Moritz Wesseler

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Uschi Huber

Portrait

Ausstellungsansicht: Kunstverein Hannover, Ulla von Brandenburg, »Drinnen ist nicht Draußen«, 2014. Foto: Raimund Zakowski

Textauszug

Ulla von Brandenburg
Ulla von Brandenburg ist eine künstlerische Vielfachbegabung. Sie zeichnet, malt und filmt, fertigt Wand- und Bühnenbilder, baut Installationen und Objekte, entwickelt Performances, schreibt Texte und komponiert Musik. Von allem, was sie als Künstlerin tut, betrachtet sie ihre Filme als Königsdisziplin. Es ist nicht zu übersehen, dass sich in ihnen ihre vielfältigen Begabungen am Stärksten bündeln und konzentrieren. Ebenso wie die Themen, die sie beschäftigen: Spiel und Theater, Feste und Karneval, Rituale und Regeln. Mit ihnen verbinden sich existenzielle Fragen nach Sein und Schein, Lüge und Wahrheit, Illusion und Realität. Sie alle werden überwölbt von Brandenburgs Selbsterforschungen und Ich-Recherchen. Bezeichnend dafür ist, dass ihre Filme nicht lange im Stadium der Stummheit und des Tableau vivant verharren, sondern sehr bald anfangen, zu sprechen und sich in Bewegung zu setzen. Allerdings haben sie es nicht eilig dabei. Sie kultivieren auch weiterhin eine Tugend der Langsamkeit, die es dem Betrachter erlaubt, sich intensiv in das Bildgeschehen zu vertiefen und sich mit ihm auseinander zu setzen. Die formalen Mittel der Künstlerin sind Travelling und Plansequenz. Ihre Filme bestehen stets aus nur einer einzigen Kamerafahrt und kommen ohne jeden Schnitt aus. Von Brandenburg filmt ausschließlich in Schwarzweiß, um die Nähe ihrer Filme zum Traum zu betonen, der auch nicht farbig ist. Das führt zu dem schönen Paradox, dass ihre Filme im Gewand eines dokumentarischen Wahrheitsanspruchs daherkommen und uns zugleich die unglaublichsten Geschichten erzählen. Wie schon »Reiter« bleiben sie hermetisch. Ihr künstlicher Gestus steigert sich mit der Hineinnahme des Tons. Mit ihm werden die Filme zu Singspielen, denn die Schauspieler sprechen ihre Texte nicht, sie singen sie. Und das, ob sie nun jung oder alt, Mann, Frau oder Kind sind, in der Regel mit einer Stimme. Mit der von Ulla von Brandenburg. Sie hat auch ausnahmslos alle Texte geschrieben, welche die Akteure singen. Ein deutliches Zeichen dafür, wie sehr sie in ihren zeichenhaften Personen anwesend ist, die in der Terminologie der Bühne keine »round«, sondern »flat characters« sind. Die Texte sind sehr poetisch. Sie werden durch Assonanzen und Alliterationen belebt und von Ellipsen bestimmt sowie von Paradoxien, Tautologien und Oxymora. Sie erinnern an Zaubersprüche und Beschwörungsformeln. In ihnen zeigt sich die Künstlerin als Exorzistin, für die das Falsche und Trügerische das Böse ist, das es zu vertreiben gilt.

Dabei operiert von Brandenburg mit Scherz, Satire, Ironie und tieferer Bedeutung, wie es bei Grabbe heißt. Ihre aktuelle Ausstellung im Kunstverein Hannover, die zuvor in der Wiener Sezession zu sehen war, trägt den Titel »Drinnen ist nicht Draußen«. Er stammt aus dem Skript ihres neuen, im Zentrum der Ausstellung stehenden Films »Die Straße« (2013) und ist Teil des folgenden Vierzeilers: »Drinnen ist nicht Draußen//und heute ist nicht hier.// Suppe gab´s zum Mittag// und abends gibt es Bier.« Erst im Zusammenhang wird sein rhythmischer und musikalischer Gestus deutlich. Aber auch die tiefere Bedeutung eines Verses, der für sich genommen wie eine Banalität ausschaut. Dass Drinnen nicht Draußen ist, folgt zwingend aus dem Gesetz des Widerspruchs der Aristotelischen Logik (a = non a). Als Metapher im Kunstzusammenhang hat der Satz indes den Sinn einer Selbstreferenz. Denn umgekehrt ist er nicht weniger wahr und wird bestimmt durch die Angst, ob das Außen, die Gestalt des Kunstwerks, sein Innen, seinen Gehalt, zu spiegeln vermag.

Michael Stoeber