Interview

Nicolaus Schafhausen, Direktor, Kunsthalle Wien, Foto: Credit: Porträt Nicolaus Schafhausen © Steffen Jagenburg, 2012

Textauszug

Nicolaus Schafhausen
J.Krb.: Was kann Kunst leisten – ist Kunst heute noch allumfassender Sinnstifter oder sollten wir stattdessen den Ball flach halten: Kunst bietet alternative Sehmodelle und Denkanstöße, stellt Fragen, ohne selbst die Antwort geben zu müssen, Kunst hat die Möglichkeit, neue Perspektiven auf die Gegenwart zu eröffnen.

N.S.: Kunst ist Differenz. Künstlerinnen und Künstler sind ein Korrektiv in unserer Gesellschaft. Thea Djordjadze, eine Künstlerin, die ich sehr schätze, meinte vor kurzem zu mir, dass Künstler anders sehen. Sie beobachten Dinge und Phänomene, die oftmals übersehen werden. Kunst ermöglicht Formen der ästhetischen Welterschließung. Sie vermittelt Bedürfnisse und Anliegen über ästhetische Momente und liegt außerhalb des sprachlich Fassbaren. Kunst hat für mich das Potenzial alles zu können. Kunst vermag soziale, politische und ökonomische Probleme sichtbar zu machen. Sie ist Konfrontation. Wir leben ja nicht nur in einer visuellen, sondern auch in einer oralen Kultur. Wir sprechen miteinander. Der Zugang des Sprechens über die Kunst ist hoch spannend. Sich als Kunstinstitutionen dem Sprachlichen mehr zu widmen, finde ich in unserer Zeit höchst relevant – auch unterscheidet uns das von dem parallelen Kunstsystem »Markt«.

J.Krb.: Oft ist die Rede von Ballkünstlern, Kochkünstlern und Lebenskünstlern. Mitunter verstehen sich Kuratoren auch als Künstler und halten sich für die entscheidende Schaltstelle im Kunstbetrieb. Sind Sie Komplize der Künstler oder gehen Sie auf Distanz, sind Sie bestimmender Autor oder ist alles doch ganz anders?

N.S.: Kurator ist selbstverständlich ein Beruf, der eng mit Autorenschaft verbunden ist. Ein künstlerischer Beruf, der sich am ehesten noch mit dem des Regisseurs vergleichen lässt. Ich verstehe mich aber auch als Moderator und zwar dann, wenn Publikum ins Spiel kommt und
natürlich innerhalb meines Teams.

J.Krb.: Nach Toni Stooss (1992 bis 1995) und Gerald Matt (1996 bis 2012) leiten Sie die Kunsthalle Wien. Als temporärer Bau in Containerform wurde die Kunsthalle 1992 am Karlsplatz eröffnet. 2001 hat die Kunsthalle ihr Haupthaus im Museumsquartier bezogen, einen Neubau unter Einbeziehung der ehemaligen Winterreithalle der Hofstallungen. Der Container wurde zu einem Glaspavillon verkleinert. Die Kunsthalle liegt versteckt hinter einer historischen Fassade, unmittelbar vermutet der Betrachter kein zeitgenössisches Programm. Träumen Sie von einem Neubau, braucht es einen architektonischen Solitär, um zeitgenössische Kunst adäquat präsentieren zu können?

N.S.: Also zur Richtigstellung: Die Kunsthalle Wien hat zwei Standorte mitten in Wien, die allerdings von der Architektur her nicht verschiedener sein könnten. Das Haupthaus, die Kunsthalle Wien Museumsquartier, wurde von den Architekten Ortner und Ortner im Zuge der baulichen Entwicklung des MQ hinter die barocke Winterreithalle von Johann Bernhard Fischer von Erlach gebaut. Die sehr viel kleinere Kunsthalle Wien Karlsplatz hingegen, nur 10 Minuten Fußweg entfernt, ist ein reduzierter Glaskubus vom österreichischen Architekten Adolf Krischanitz entworfen und scheint mitten in die urbane Verkehrshölle platziert. Ein sehr spannender Ort. Natürlich ist es eine große Herausforderung diese zwei sehr unterschiedlichen Orte zu bespielen, bzw. als zwei Seiten einer Medaille erkennbar zu machen – aber gleichzeitig auch sehr spannend. Ich habe nie einfache Lösungen gesucht. Beide Häuser wurden und werden durch kleinere Umbau- und Renovierungsarbeiten in der unmittelbaren Vergangenheit und in der nahen Zukunft adaptiert. So haben wir z.B. im Rahmen der Renovierung der Kunsthalle Wien Museumsquartier, die mit der Eröffnung »Salon der Angst« abgeschlossen war, den Haupteingang verlegt. Durch diesen kleinen Eingriff ist gleichzeitig eine größere Sichtbarkeit der Kunsthalle an ihrem Standort im Museumsquartier gewährleistet. Ich bin also sehr zufrieden mit der räumlichen Situation. Aber, um auf Ihre Frage zurückzukommen, natürlich bin ich auch der Meinung, dass einer zeitgenössischen Institution wie der Kunsthalle Wien ein solitäres Gebäude niemals schaden würde, im Gegenteil. Wir arbeiten daran!

J.Krb.: Wien kann eine große Institutionsdichte vorweisen. Vielfach ist zeitgenössische Kunst und Gegenwartskunst zu sehen: mumok (Museum moderner Kunst), Generali Foundation, Wiener Secession. Nicht zu vergessen die vielen Galerien. Gerald Matt hat die Kunsthalle Wien entscheidend geprägt, wollen Sie seine Arbeit kontinuierlich fortführen oder wird es eher einen Bruch geben? Sie betonen, die Kunsthalle muss sich immer wieder neu erfinden bei gleichzeitiger Definition eines unverkennbaren Profils. Was heißt das?

N.S.: Ich schätze die Arbeit meines Vorgängers Gerald Matt, aber natürlich kann es nicht meine Aufgabe sein, seine Arbeit linear fortzusetzen –
sonst hätte es ja keinen Leitungswechsel gebraucht. Eine Kunsthalle ist eine dynamische Institution und diese Dynamik möchte ich gerne noch zusätzlich antreiben. Die Kunsthalle Wien hat keine Sammlung, was ich nicht als Manko empfinde, sondern im Gegenteil als von Referenzen befreit. Wir können unterschiedlichste Themen aufgreifen und sind nicht festgelegt durch die Vorgaben einer Sammlung. Wir können aber auch, und daran versuche ich mich besonders gerne, unterschiedlichste Formate erfinden und für unser Haus adaptieren. Kurz gesagt: Wir müssen uns in der Jetztzeit aufhalten und können hypothetisch argumentieren, eingeschlossen der Herausforderung spekulativ und im Risiko zu arbeiten. Eine Kunsthalle muss nicht zwangsläufig Ausstellungen machen. Sie kann Festivals und unterschiedliche interdisziplinäre Formate für sich entdecken und dem Publikum vorstellen. Diese Idee von einer sehr dehnbaren Hülle, ist auch in die neue Corporate Identitiy der Kunsthalle Wien geflossen, die vom Adler symbolisiert wird. Das neue Logo der Kunsthalle Wien setzt auf eine ironisch-spielerische Umsetzung und trägt damit einer Institution Rechnung, die sich immer wieder selbst in Frage stellt, experimentiert und verändert.

J.Krb.: Interaktive Kunstgespräche, Kreativworkshops, Seminare und vieles mehr bieten Sie dem Publikum in Ihrem Vermittlungsprogramm. Aber auch anderenorts geht es um die Erprobung neuer Vermittlungsmodelle. Ist das Festival als Hinweis zu verstehen, was in der Institution Kunsthalle alles möglich ist, planen Sie weiterhin Aktivitäten, die sich außerhalb des Feldes der bildenden Kunst bewegen?

N.S.: Das Festival WWTBD – What Would Thomas Bernhard Do hat sich innerhalb des Feldes der bildenden Kunst bewegt und dabei andere Disziplinen mit eingeschlossen. Er war ein offenes Feld, das sich den Grenzen nicht fügte, sondern sie zur Sprache brachte. Viele der eingeladenen Gäste haben die Enge der Disziplinen thematisiert und die Offenheit des Formates sehr begrüßt. Ich denke, es ist wichtig dem Publikum und den Teilnehmenden solche offenen Terrains zu bieten. In diesen Momenten entwickeln sich neue Zugänge zu Themen, die bereits als abgeschlossen und erforscht galten. Wir werden das Format 2015 wiederholen und weiter präzisieren.

Joachim Kreibohm