Artist Ausgabe Nr. 95

Portraits

Ulrich Pester | Wolfgang Tillmans | Tomás Saraceno | Eva Kotátková

Interview

Gregor Jansen

Page

Roland Schappert

Edition

Julia Schmid

Interview

Dr. Gregor Jansen, Direktor, Kunsthalle Düsseldorf, Foto: Yun Lee

Textauszug

Gregor Jansen
J.Krb.: Kann Kunst Lösungen für den sozialen und politischen Bereich anbieten oder liegt gerade die emanzipative Kraft der Kunst in einer latenten Verweigerungshaltung?

G.J.: Kunst kann, was sie kann – und was wir daraus machen! Verweigerungshaltung hilft nur begrenzt, das lernen wir schon in der Pubertät, aber sie ist auch wesentlich zur Bildung einer Identität. Abgrenzung und Neubestimmung sind nur möglich innerhalb eines Betriebssystems oder gegen das Bestehende. Affirmation ist unausweichlich. Bestes Beispiel fürn diesen Dualismus ist Martin Kippenberger, dessen Weg der radikalen Verweigerung und Erneuerung des Kunstbegriffs in eine Pseudo-Affirmation des Kunstbetriebs mündete, welche er mit einer Kunstagentur, seinem »Büro Kippenberger«, der Überproduktion an Werken und einer scheinbaren Banalisierung der Kunst durch die Verwertung alltäglicher Themen vorantrieb und ins Lapidare, Ironische kippte. Damit dekonstruierte er auf wundersame Weise die Ideale des Kunstbetriebs, was bei vielen ja erst nach seinem Tod geschätzt wurde. Damien Hirst als kühn kalkulierender Konzept-Antipode fällt mir dazu auch noch ein. Nun denn, Dekonstruktion und Überproduktion als Strategie ... des Kapitalismus vielleicht? Dennoch geht es allen ganz menschlich gesehen und einfach gesagt um Wertschätzung, um Anerkennung, um Liebe.

J.Krb.: Die Kunsthalle Düsseldorf verfügt im Gegensatz zu einem Museum über keine eigene Sammlung, sondern organisiert Wechselausstellungen. Jedoch wird den Museen vorgeworfen, sie vernachlässigen ihr Kerngeschäft, d. h. den Aufbau, die Präsentation, wissenschaftliche Aufbereitung und Pflege der Sammlung und eilen stattdessen oftmals von Event zu Event. Teilen Sie diese Kritik?

G.J.: Ja, dem ist leider heute so und wohl auch kaum noch anders machbar. Denn ein anderer Weg wird auch seitens der Öffentlichkeit und Politik nicht gefördert. Die fragwürdige Dominanz der Besucherzahlen verdrängt vielerorten wissenschaftliche Arbeit, im Stellenplan und im Zeitbedarf.In den Sammlungssälen ist es meist totenstill, hingegen in den Wechselausstellungen der Bär zu tanzen hat. Und Museen kommen ja - wie die Privatsammler - bereits auf den naiven Gedanken, ihre Sammlungsstücke zu veräußern. Gute Nacht Bildung. Aber wir in der Kunsthalle haben auch eine klitze-kleine Sammlung: eine Bronze von Karl Hartung, Gerhard Richters »Spiegel«, James Lee Byars »Die Träne« an der Fassade, Michael Heizers »Windows and Matchdrops« draußen, Beuys´ »Schwarzes Loch« mit Ofenrohr außen oder den »Kippdeckel« von Lee Thomas Taylor ...

J.Krb.: Gegenwartskunst wird in Düsseldorf an vielen Orten geboten: Künstlerverein Malkasten, Kunst im Tunnel (KIT), Kunstraum Düsseldorf, Pilotprojekt, Kai 10 - Raum für Kunst, Julia Stoschek Collection,
Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen (K20 Grabbeplatz, K21 Ständehaus und Schmela Haus). So sind insbesondere die Wechselausstellungen in K21 und im Schmela Haus zeitgenössisch akzentuiert. Nicht zu vergessen der Kunstverein und die Galerien. Rollenzuweisungen geraten ins Wanken. Jeder wildert im Revier des anderen und versucht dort Terrain zu erobern. Was bleibt programmatisch für die Kunsthalle?

G.J.: Das akzentuierteste, tendenzloseste, freieste, provokanteste, überraschendste, qualitativ bestechendste Programm jenseits jeden Kalküls. Mut zum Risiko ohne jeden Sicherheitsgurt – bei kreativer Nutzung der Geschichte des Ortes und der spezifischen Kontexte. Konkret: Das Haus wird immer wieder auch aus seiner Geschichte heraus neu definiert, aus seiner Ausstellungsgeschichte und den spezifischen Zeiterscheinungen. Da wir kein Museum mit Sammlung oder Förderverein und kein Kunstverein mit Mitgliedern sind, auf der tragenden Ebene der Ausstellungen, jedoch auch der viel entscheidenderen Ausrichtung dessen, wofür eine Institution da ist, d.h. an welches Publikum man sich wendet. Wir widmen uns deshalb dezidiert im Reflex auf Düsseldorf und der Akademie immer wieder der zeitgenössischen Malerei, den Kunsträumen Japan, Korea und China und Sonderfällen in der Zeitgenossenschaft wie bspw. Yüksel Arslan. Insbesondere das Format »Bühne« ist über drei Jahre eine Auseinandersetzung mit aus Ausstellungen heraus übertragbaren, performativen Handlungsansätzen. Ebenso sind die Galerien ein starker Partner, wenn auch indirekt, aber der die wesentlichen Grundlagen im Kunstbetrieb schafft, und es ist mein Anliegen, den Galerien nötiges Feedback und Förderung zu geben, wo immer ich kann.

J.Krb.: In den 1960er und 1970er Jahren zogen Ausstellungen, die gut besucht waren, den spöttischen Argwohn der Kritiker auf sich und Kunst, die sich leicht verkaufen ließ, galt als verdächtig. Möchten Sie
die Zeit zurückdrehen?

G.J.: Das ist lustig, hat sich doch grundlegend daran kaum etwas geändert, wie ich selbst des Öfteren erfahren durfte. Für die Kunsthalle Düsseldorf ging und geht jeweils beides, wenn die Bestimmung nach wie vor aus uns selbst heraus legitimiert ist. Ich finde es unerheblich, was als verdächtig gilt oder spöttischen Argwohn auf sich zieht. Dahinter stehen allzu häufig andere Gründe. Problematisch wird es aber, wenn diese Hintergründe starken Einfluss auf das Programm bekommen, wenn ich bei jeder Programmentscheidung an die Kritiker, die Politiker, die Besucher oder an den Kunstmarkt denke. Das macht für mich keinen Sinn. Wir wollen einen forcierten, streitbaren, produktiv-widersprüchlichen, engagierten, aufregenden Spielplan aus einer inneren und äußeren Notwendigkeit heraus – ohne Argwohn oder Verdacht auf sonst etwas. Ganz klar: Zeit zurückdrehen möchte ich nie.

Joachim Kreibohm