Artist Ausgabe Nr. 95

Portraits

Ulrich Pester | Wolfgang Tillmans | Tomás Saraceno | Eva Kotátková

Interview

Gregor Jansen

Page

Roland Schappert

Edition

Julia Schmid

Portrait

Theatre of Speaking Objects, 2012, Parallel Biography (Speaking Library), 2012/13, Installationsansicht Kunstverein Braunschweig, Courtesy Meyer Riegger, Berlin / Karlsruhe, Foto: Fred Dott

Textauszug

Eva Kotátková
Schaut man auf das Werk von Eva Kotátková, gewinnt man den Eindruck, sie müsse den französischen Sozialphilosophen Michel Foucault sehr genau studiert haben, vor allem sein Buch »Überwachen und Strafen«, in dem er anschaulich beschreibt, wie sich im Laufe der Geschichte die Techniken der Disziplinierung wandeln und verfeinern hin zu immer mehr Effizienz. Der zweite Pate ihrer Kunst scheint Sigmund Freud zu sein, der mit der Psychoanalyse eine umfassende Theorie menschlichen Fühlens und Handelns vorgelegt hat und ohne den auch das Werk Jacques Lacans nicht denkbar wäre. Ihr Einfluss scheint deutlich auf, wenn Kotátková in ihre Collagen und Fotografien hineinzeichnet. In weißen Bewegungslinien hält sie die Gesetze der Schwerkraft und die Fallgesetze menschlicher Natur ebenso fest wie seine Trieb- und Gefühlsströme. Zugleich entwirft sie mit ihnen groteske Dispositive, die ihn lenken und halten, optimieren und fixieren. Nur, um ein solches Unterfangen durch den Widersinn ihrer minutiös ausgeführten Konstruktionen gleich wieder ad absurdum zu führen. Hinter den im Bild thematisierten Zwängen taucht die Freiheit als Lizenz der Gestaltung auf. Wo Gefahr ist in diesem Werk, da wächst das Rettende auch. So zeigt die Künstlerin in einer Collage Kinder auf
dem Weg zur Schule. Durch weiße Linien sind sie an die Mutter gekettet wie Hunde an eine Leine. Die Situation weist in so irrwitziger Weise auf Abhängigkeiten hin, dass man sie im selben Augenblick, da man ihrer ansichtig wird, zerreißen möchte. Das ist auch der Fall, wenn ihre Zeichnungen und Collagen Masken zeigen, die sich ins Magische, Idolhafteund Transzendente wenden. Der Mensch, den wir bereits als Objekt diesseitiger Disziplinierungs- und Zurichtungstechniken kennen gelernt haben, erscheint in solchen Werken als Marionette eines höheren Willens, der ihm jeden eigenen Willen abspricht, ganz so wie es Georg Büchner den Revolutionär Danton in seinem Theaterstück »Dantons Tod« sagen lässt: »Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen: nicht, nichts wir selbst!«

Marionetten tauchen auch im »Rehearsal Room« (2013) der Künstlerin auf. Ihr hybrider Charakter zwischen Ding und Mensch lässt an das »Schwarze Theater« Prags denken, in dem die schwarz gekleideten und in Schwarzlicht getauchten Schauspieler vom Publikum nicht gesehen werden, während die von ihnen bewegten Objekte eigenartig belebt erscheinen. Solch anthropomorphe Belebung erfahren auch die sprechenden Gegenstände in Kotátkovás »Theatre of Speaking Objects« (2012) im Festsaal von Salve Hospes. Sie sind dort wie auf einer großen Bühne versammelt: Ein schwarzer Topf mit stählernen Armen und Beinen, eine Vase aus Ton mit Stoff-Ärmeln, ein Baumstamm, der aussieht wie das »krumme Holz, daraus nichts Gerades gezimmert werden kann«,
wie Immanuel Kant in Anspielung auf den Menschen gesagt hat. Des weiteren eine Tür und ein Fenster, ein Vorhang und eine Wand. Sie alle haben symbolische Bedeutung und erzählen Geschichten von kranken, behinderten und gehandikapten Menschen. Ihre Sprache und ihr Sprechen sind von ihrem Leben gezeichnet und umgekehrt

Michael Stoeber