Artist Ausgabe Nr. 95

Portraits

Ulrich Pester | Wolfgang Tillmans | Tomás Saraceno | Eva Kotátková

Interview

Gregor Jansen

Page

Roland Schappert

Edition

Julia Schmid

Portrait

Cloud City at the Metropolitan Museum of Art, New York, 2012. Photography by Studio Tomás Saraceno

Textauszug

Tomás Saraceno
Seit seiner Hochschulzeit in Frankfurt pflegt Saraceno den produktiven Austausch mit anderen Disziplinen. Begriffe wie Netzwerkbildung, dynamische Prozesse, Wissensproduktion oder Rückkopplung charakterisieren seine künstlerische Strategie, die das traditionelle Rollenmuster einer singulären Autorschaft längst hinter sich gelassen hat. Projekte wie die Ausstellungen »Cloud Cities« im Hamburger Bahnhof und ab Ende Juni 2013 »In Orbit/In den Umlaufbahnen« im Düsseldorfer K21 Ständehaus erfordern nicht nur ein großes Assistenten- und Aufbauteam sondern auch das Know-how und die technischen Skills vieler kunstfremder Experten.

Wie aber entwickelt er seine, das breite Kunstpublikum ebenso wie die naturwissenschaftliche Fachwelt faszinierenden Netzstrukturen und Seifenblasenmodule? Als Studien- und Anschauungsmaterial dienen
Tomás Saraceno häufig in der Natur vorgefundene Strukturen. In seinem Berliner Atelier unterhält er zum Beispiel eine Art Labor für die Aufzucht von Spinnen aus aller Welt. Was ihn hier interessiert, ist deren Fähigkeit, aus einer in den Spinndrüsen erzeugten proteinreichen Flüssigkeit, der Spinnenseide, einen ebenso stabilen wie elastischen Faden zu erzeugen, dessen Tragfähigkeit beispielsweise die von Stahl um das Vierfache übertrifft. In rechteckigen Metallkuben, aber auch in Plexiglaskästen lässt Saraceno verschiedene Spinnenarten ihre Netze konstruieren, um sie anschließend zu studieren – und im vergrößerten Maßstab nachzubauen. Für seine Arbeit »14 Billions (Working Title)« in der Stockholmer Bonniers Kunsthalle im Frühjahr 2010 scannte Saraceno die dreidimensionale Konstruktion des Spinnennetzes einer Schwarzen Witwe ein und rekonstruierte das Netz in sechzehnfacher Vergrößerung aus schwarzem Nylonfaden. Die aus 70.000 Knoten bestehende Installation haben mehr als zwanzig Assistenten während
einer zweimonatigen Aufbauzeit in einem ehemaligen Frankfurter Flugzeughangar zusammengefügt. Was ihn in letzter Zeit besonders fasziniert, ist das Phänomen der»sozialen Spinnen«, die ihre Netze mit denen anderer Spinnen koordinieren und so statt konkurrierender Strategien auf symbiotische Synergieeffekte setzen. Für seine Mitte April zu Ende gegangene erste Einzelausstellung »Social... Quasi Social... Solitary... Spiders... On Hybrid Cosmic Webs« in seiner Berliner Galerie Esther Schipper ließ er verschiedene Spinnenarten spezifische Netze produzieren, indem er sie nacheinander in die Vitrinen setzte. Das Resultat waren hybride Netze, die zum Teil von mehreren Arten wie in einer Art Wohngemeinschaft miteinander geteilt wurden oder aber additiv aufeinander aufbauten. Wobei auch in diesen Fällen die finale Ausarbeitung Bezug zum bereits Vorhandenen nahm. Tomás Saraceno präsentierte seine Spinnennetze, einige davon in glaslosen Rahmenkonstruktionen, andere in Vitrinen, in komplett schwarz gehaltenen, nur von wenigen präzise gesetzten LED-Spots beleuchteten Räumen. Sie werden auch am Rande des Düsseldorfer Projekts wieder zu sehen sein.

Nicole Büsing / Heiko Klaas