Interview

Annette Hans, Künstlerische Leiterin und Geschäftsführerin, GAK Bremen, Foto: Franziska von den Driesch

Textauszug

Annette Hans
J.Krb.: Am 1. Oktober 2021 haben Sie, 39 Jahre
jung, die Künstlerische Leitung und Geschäftsführung der Gesellschaft für Aktuelle Kunst (GAK) in Bremen übernommen und die Nachfolge von Regina Barunke angetreten. Kurator*in ist ein Berufsbild, das nirgendwo eindeutig definiert ist. »Schafft die Kuratoren ab! Ob documenta oder Biennale, überall herrschen Ausstellungsmacher und schaden der Kunst und dem Künstler... «, fordert lautstark Stefan Heidenreich in »DIE ZEIT«. Sie wollen sicherlich widersprechen. Sind Kurator*innen die neuen Stars des Kunstbetriebs, Intellektuelle neuen Typs oder Aufklärer, die über den Zustand der Welt räsonieren? Wie bestimmen Sie Ihr Tätigkeitsfeld, ist es Beruf, Berufung oder beides zugleich?

A.H.: Berufung, kann ich klar sagen, ist es nicht. Das ist mir im heutigen Verständnis viel zu eindeutig, viel zu gewichtig und letzten Endes viel zu spirituell. Zum Kuratieren bin ich gekommen über eine Serie von Entscheidungen gegen etwas, dann für etwas und durch Zufälle. Und ich bin mit Sicherheit kein Star. Kurator*in, das ist je nach Arbeitsfeld etwas sehr Verschiedenes. Eine documenta oder Biennalen zu kuratieren, das sind andere Formate als die Arbeit in einem Kunstverein wie der GAK. Ob der Kern des Problems den Kurator*innen / Ausstellungsmacher*innen per se zugeschrieben werden kann, das wage ich zu bezweifeln. Herrschen tun eingeübte Prinzipien, an denen das Kunstsystem ebenso krankt wie so ziemlich jedes andere auch. Und von diesen Prinzipien lese ich in Heidenreichs Artikel auch manche, z.B. die Rede von dem Künstler, statt von den Künstler*innen. Ich glaube, ich identifiziere mich weniger mit dem Wort Kuratorin und damit dem Beruf, wenn man so will, als dass ich die aktive Form kuratieren verwende. Mal abgesehen davon, dass die Tätigkeit ja nicht unbedingt mit Entlohnung zusammenhängt. Kurator*innen sind Finanzierer*innen, Organisator*innen, Vermittler*innen, Promoter*innen, manchmal Assistent*innen und Aufbauhelfer*innen, Rezipient*innen, manchmal Wissenschaftler*innen, Denker*innen und Autor*innen und in der Regel Gestalter*innen von räumlichen, temporalen und sozialen Beziehungen. In diesen ganzen Aufgaben und dem, wie ich Kuratieren verstehe, stehen zunächst in der Regel Fragen im Vordergrund. Beim Kuratieren geht es nicht darum, etwas serviert zu bekommen, das man bestellt hat, sondern um wechselseitige Herausforderungen.

J.Krb.: Darf ein*e Künstler*in alles? Fraktionen haben sich gebildet, die sich unversöhnlich gegenüberstehen. Die einen fordern, Werke und Künstler*innen sollen moralisch einwandfrei und politisch korrekt sein, andere pochen auf die Freiheit der Kunst. Die sozialen Medien befeuern die Debatte. Werke und Personen geraten in die Kritik und die Forderung nach Entfernung wird lauter und lauter. Handelt es sich um Zensur einer Sittenpolizei oder ist den Künstler*innen eine Freiheit zum Regelbruch zuzubilligen?

A.H.: Die Frage, ob ein*e Künstler*in alles darf, ist natürlich mit »nein« zu beantworten. Abgesehen davon ist es kompliziert, zumal ich nicht wirklich wüsste, wer verbindlich formulieren sollte, was moralisch einwandfrei und politisch korrekt ist. Das grenzt an Religion. Davon gibt es bekanntlich mehrere mit sehr verschiedenen Ansätzen, die ebenso wie das Verfechten absoluter Freiheit auch sehr dankbar instrumentalisiert und gesellschaftlich verheerend eingesetzt werden können. Eine Auseinandersetzung darüber, öffentliche Kritik etc. ist aber natürlich sinnvoll und kann auch entsprechende Konsequenzen nach sich ziehen. Die Frage ist vermutlich eher, wie solche Debatten geführt werden und das gilt für Politik wie Kunst gleichermaßen. Genauso wie um welche Art von Regelbruch es sich handelt. Regeln zu brechen, Umwege und verschiedenste Auslegungsmöglichkeiten zu suchen und zu finden, scheint mir recht menschlich zu sein. Das kann mal in gute, mal in schlechte Richtungen weisen, und hat für unterschiedliche Menschen und Existenzen ganz unterschiedliche Tragweiten. Ich glaube aber, dass der Wunsch nach Veränderung auch Freiheit braucht. Die Schwierigkeit liegt eher darin, dass Freiheit so verschieden verteilt und Angst vor Fehlern ein Problem ist.

J.Krb.: »Ambivalenzen und Spannungszustände prägen die Gegenwart, werden zumeist bildhaft veranschaulicht und verlangen nach Urteilen, die ästhetischer Natur und damit auch dort zu verhandeln sind und verändert werden können«, betonen Sie. Dem ist zweifellos zuzustimmen, denn mit tradierten Denkmustern und groben Rastern wie schwarz und rot, jung und alt, links und rechts wird man den sozialen, politischen und kulturellen Veränderungen nicht gerecht. Auch in der Kunst sind die Ausschließlichkeitspostulate und Dogmen der 1960er und 1970er Jahre längst kein Tabu mehr. Die Kunst offenbart sich derzeit nicht mehr als ein Feld zwingender Entweder-Oder-Entscheidungen, sondern mehr und mehr als ein Feld interdisziplinärer Beziehungssysteme. Was verstehen Sie unter Ambivalenzen und wie kann dieses Selbstverständnis in Ihre konkrete Ausstellungspraxis einfließen?

A.H.: Die Ambivalenzen zeigen sich zum Beispiel in jenen Momenten, in denen wir etwas kritisch gegenüberstehen, und dennoch keine wirklichen Konsequenzen daraus ziehen (können?) und so dem, was wir kritisieren, mindestens stillschweigend, wenn nicht aktiv, wieder zustimmen. Sie zeigen sich in den schwierigen Näheverhältnissen zwischen Überzeugungen, die sich theoretisch – oder der Hoffnung wegen – ausschließen müssten. Oft sind wir praktisch in Dinge verstrickt, die wir theoretisch weit von uns weisen würden. Sie zeigen sich auch in einer fortschreitenden gesellschaftlichen Vereinzelung, weil entweder Freiheit genossen oder angestrebt wird oder sozioökonomische Zwänge und Konkurrenzen dahin drängen. Diese Vereinzelung steht in einem Spannungsverhältnis zu Tendenzen von Gemeinschaft. Die Gemeinschaften bedeuten regelmäßig aber auch Homogenität. Digitale Blasen z. B. bilden entsprechende selektive Netzwerke und Realitätsvorstellungen. Ein Versuch, daraus einen Ausweg zu finden, liegt für mich in einem Freundschaftsbegriff, der nicht Kameradschaft meint, keine ökonomische Beziehung und auch nicht einen engen Kreis von Menschen, mit denen man Gemeinsamkeiten teilt. Ein politischer Begriff von Freundschaft versteht sich als Form von gegenseitiger Begegnung und als Form von Kommunikation – nicht nur mit Freunden und auch nicht nur notwendig mit Menschen. Wie diese Überlegungen konkret in die Ausstellungs- und Institutionspraxis der GAK einfließen können, das möchte ich zum Thema machen und als
Prozess bzw. öffentliche Recherche sichtbar werden lassen. Einwandfrei und lückenlos darlegen, wie beide zueinander finden können, um Verhältnisse von Distanz und Nähe neu zu bestimmen, kann ich nicht, das liegt aber auch in der Natur der Sache. Es wird also vermutlich und hoffentlich ein im besten Sinne fehleranfälliges Üben Üben Üben.
J.Krb.: Wollen Sie mit Ihren Ausstellungen eine breite Öffentlichkeit
erreichen oder bevorzugen Sie die Konstellation klein aber fein?

A.H.: Als entweder-oder muss ich antworten: weder noch. Natürlich ist es schön, eine breite Öffentlichkeit für Ausstellungen zu haben. Ausgangspunkt ist das aber nicht.

J.Krb.: Am Jahresschluss wird Bilanz gezogen. Institute verweisen mit Stolz auf ihre Besucherzahlen. Allerdings fungieren Einschaltquoten viel zu lange als Garant und Indikator für Vortrefflichkeit. Wie bestimmen Sie Erfolg?

A.H.: In einer schwer messbaren Kategorie: in Beziehungen. Wenn in Projekten gute Zusammenarbeit, Gespräche und auch Freude Platz haben, Besucher*innen Beziehungen zum Programm knüpfen können und im besten Fall auch persönliche Beziehungen entstehen, dann ist das Erfolg.

J.Krb.: Kunstvermittlung ist derzeit en vogue. Niedrigschwelligkeit ist das Gebot der Stunde. Deren Basis ist ein spezifisches Verständnis von Kunst. Kunst könne sinnstiftend wirken, Emotionen ausgleichen, dem Fortschritt dienen, die Menschen zum Besseren erziehen. Auf diese Weise wird die Kunst zum Heilsbringer. Wie halten Sie es mit der Kunstvermittlung?

A.H.: Die Kunstvermittlung per se gibt es nicht. Oft ist sie mit Haltungen verbunden, die ich nicht teile. Und zwar auf Seiten der Vermittelnden, wie derjenigen, an die vermittelt wird. Die genannte Niedrigschwelligkeit zum Beispiel. Oder die Erwartung, dass einem ein übergreifendes Narrativ oder noch schlimmer ein bestimmter Teilaspekt in der Nachahmung nahegebracht werden müsse. Das wird der Kunst und ihrer Vermittlung, auch hinsichtlich ihrer Eigensinnigkeiten, nicht gerecht. Hier geht es wieder um Beziehungen – auch wenn es hin und wieder in einer ablehnenden enden mag. Wir wollen Kunstvermittlung als allgemein gestaltendes Element des Verhältnisses zwischen Kunst(institution) und Öffentlichkeiten begreifen, das weniger funktional als ebenso eigensinnig wie die Kunst und die Betrachter*innen ist.

J.Krb.: Resultiert aus der besonderen Raumsituation des Harburger Kunstverein ein generelles Interesse an ortsspezifischen Neuentwicklungen, die konkret auf das Umfeld architektonisch, historisch und inhaltlich Bezug nehmen? Sind raumbezogene Projekte in Bremen geplant?

A.H.: Eigentlich, muss ich sagen, habe ich mich erstmal gefreut, dass die GAK etwas unspezifischere Räumlichkeiten hat als der Harburger Kunstverein. Ich freue mich, dass Wände vorhanden sind, dass man ohne irren Aufwand zu betreiben verdunkeln bzw. auch teilverdunkeln kann und dass die GAK sozusagen zwei Seiten hat anstatt einer übergreifenden, hoch gestalteten und auch noch gesellschaftlich hierarchisierenden Raumlogik zu folgen. Mein Interesse an Ortsbezogenheit ist aber älter als die Zeit im Harburger Bahnhof. Und zusammen an Neuentwicklungen zu arbeiten macht immer Freude.

J.Krb.: Sie wollen die Künstler*innen in ihrer jeweiligen künstlerischen Praxis unterstützen und fördern. Klingt gut. Aber wie gehen Sie mit den Künstlerinnen und Künstlern vor Ort um, gibt es Berührungsängste oder verteilen Sie Bonuspunkte? Kooperationen mit der HfK Bremen haben sich in der Vergangenheit bewährt, so denke ich. Was planen Sie?

A.H.: Das Einzige, was ich gerade dazu sagen kann ist: Ich habe keine Berührungsängste, empfinde Kunsthochschulen als große Bereicherung und kooperiere gerne.

J.Krb.: Sie sind gerade in Bremen angekommen, was können Sie noch über Ihre künftigen Projekte sagen?

A.H.: Im Februar eröffnen wir mit einer Doppelausstellung von Alexandra Leykauf und Dominik Styk »mein« Programm. Die Ansätze sind verschieden, beide aber verhandeln Fragen nach der Verortung des /der Betrachter*in und den menschlichen Wunsch, Zugang zu etwas zu finden. Alexandra Leykauf ist in ihren fotografischen Arbeiten auf der Suche danach, wie wir Bilder konstruieren. Trompe l’oeil-Effekte und die Rückübertragung der Fotografie in die Dreidimensionalität betonen die räumlichen Verhältnisse und komplexen Beziehungen zu den Betrachter*innen, ebenso wie das Phänomen, bei dem die menschliche Wahrnehmung Gesichter, Wesen oder Gegenstände in etwas zu erkennen meint.#

J.Krb.: Und die Arbeiten von Dominik Styk?

A.H.: Seine Arbeiten sind häufig kleinformatig und aus Textil. Er näht Stoffe mit einer einfachen, aber effektiven Technik so lange auf die immer gleiche Weise zusammen, bis abstrakte, faltige und glänzende Gebilde entstehen. Manchmal befindet sich in ihrem Inneren ein Gegenstand, den man noch erahnen kann. Im Raum ordnet er sie mit einem szenografischen Verständnis so an, dass sie einerseits für sich stehen und andererseits Beziehungen zueinander eingehen. In meiner Vorstellung widmet sich die Doppelausstellung den komplizierten Verhältnissen zwischen Realität und Fiktion sowie Auge und Körper und eröffnet zwischen den beiden künstlerischen Praxen einen Gesprächsraum: Zwischen Alexandra Leykaufs Auseinandersetzung mit dem Glauben oder Wunsch, in einer Fotografie noch immer ein getreues Abbild von etwas und eine »Wahrheit« zu finden, obwohl wir wissen, dass das Verhältnis zwischen Betrachter*in, Raum und Bild ein konstruiertes ist – und Styks vielfältig bevölkerten, fiktiven Landschaften, die sich wie eine zweite Ebene in den Raum schieben und deren Betrachtung ebenso konstruiert ist. Diese Ausstellung gilt mir in gewissem Sinne als Prolog. Die Frage nach dem Standpunkt der Betrachter*innen und inwieweit über Kunst tatsächlich gesprochen und diskutiert wird, welche Werturteile wir dabei treffen und warum, wird mein Programm in den nächsten Jahren begleiten.

Joachim Kreibohm