Portrait

Untitled (window), 1999, Öl und Wachs auf Papier / Oil and wax on paper, 365,8 x 609,6 cm, Emanuel Hoffmann-Stiftung, Depositum in der Öffentlichen Kunstsammlung
Basel, © Toba Khedoori, photo: Fredrik Nilsen. Courtesy Regen Projects Los Angeles and David Zwirner

Textauszug

Toba Khedoori
Malerei, Zeichnung oder Objekt? Schon bei der Frage, um was es sich bei den Arbeiten von Toba Khedoori genau handelt, ist eigentlich keine eindeutige Antwort möglich. Bekannt geworden ist die 1964 als Tochter jüdisch-irakischer Einwanderer in Sydney, Australien geborene und seit vielen Jahren in Los Angeles lebende Künstlerin durch ihre ungewöhnlich großformatigen, auf gewachstem Papier ausgeführten Arbeiten. Der Einfachheit halber werden wir diese im Folgenden zunächst als Zeichnungen bezeichnen, was schon allein aufgrund des verwendeten Bildträgers Papier Sinn macht und von den meisten Interpret:innen ihres Werkes ebenso gehandhabt wird. Darüber hinaus entstehen seit 2008 auch wesentlich kleinformatigere Arbeiten auf Leinwand, die eindeutig im Medium Malerei zu verorten sind. 23 Arbeiten aus beiden Werkgruppen sind zur Zeit in der Ausstellung »Toba Khedoori« im Museum Fridericianum in Kassel zu sehen (bis 20. Februar 2022). Die erste Einzelausstellung der Künstlerin in Deutschland versammelt Werke aus den Jahren 1994 bis 2021. Es handelt sich zudem um die erste größere Präsentation ihrer Arbeiten in Europa seit ihrer Ausstellung »Toba Khedoori – Gezeichnete Bilder« im Jahr 2001 im Museum für Gegenwartskunst in Basel.

Doch zunächst zu den Zeichnungen. Was sofort ins Auge fällt, ist die ungewöhnliche, längst zum Markenzeichen der Künstlerin gewordene Diskrepanz zwischen der verhältnismäßig kleinen, eigentlichen Darstellung und dem auf den ersten Blick gigantisch wirkenden, leeren Umraum beziehungsweise Weißraum. Eine Zeichnung wie die 1999 entstandene Arbeit »Untitled (Window)« mit den Abmessungen 365,8 x 609,6 cm kann zu Recht als extremes Großformat bezeichnet werden. Arbeiten dieser Größe setzt Toba Khedoori aus mehreren, in der Regel vertikal nebeneinander hängenden Papierbahnen zusammen. Auf schützende Elemente wie Rahmen oder Glasscheiben verzichtet sie bei der Präsentation ihrer Arbeiten. Diese werden direkt auf der Wand montiert. Die Betrachter*innen werden daher auch in die Lage versetzt, die Arbeiten ohne schützende konservatorische Barrieren ganz unmittelbar so wahrzunehmen, wie sie aus dem Studio gekommen sind, einschließlich der nicht ausbleibenden Wellungen, Bestoßungen und Ausfransungen des Materials. Die Betrachter*innen stehen vor der letztlich nur individuell zu beantwortenden Frage, geht es hier ums Detail oder um den Gesamteindruck? Soll man ganz nah herangehen oder die Arbeiten besser aus großer Distanz betrachten? Die großzügig bemessenen Ausstellungsräume im ersten Stock des Kasseler Fridericianums bieten für beide betrachterischen Herangehensweisen die perfekte Voraussetzung.

Was Toba Khedooris großformatiges zeichnerisches Werk auszeichnet, ist die Dialektik von Exaktheit und Ortlosigkeit, Detailliertheit und Weite. Eingebettet sind die symmetrisch exakt im Bildgrund zentrierten Motive in geradezu verschwenderisch große, mattweiße oder gebrochen eierschalfarbene Flächen, die, nur von Ferne betrachtet, monochrom erscheinen. Tatsächlich aber enthalten die stets mit einer oder mehreren Wachsschichten versiegelten Bilduntergründe eine Vielzahl von Partikeln, Verunreinigungen, Befleckungen, Unterzeichnungen, Verwischungen oder Schrammen. Zu sehen sind etwa Staub, Flusen, Finger- oder Fußabdrücke, Haare der Künstlerin oder ihres Hundes, kleine Insekten, Heftklammern und Ähnliches. Sedimente des Studiobetriebs und Spuren der Herstellung und Bearbeitung also, die den auf den ersten Blick womöglich konzeptuell erscheinenden Arbeiten jene aseptische Aura austreiben, die gemeinhin mit Konzeptkunst oder Minimal Art konnotiert wird.

Ganz im Gegensatz zu den Zeichnungen sind die seit 2008 entstehenden Gemälde auf Leinwand bis zum Bildrand hin mit gemalten Details ausgefüllt. Auch im Medium der Malerei schärft Toba Khedoori unseren Blick auf das Alltägliche. Die Formate sind im Vergleich zum zeichnerischen Werk jedoch wesentlich kleiner. Selbst das größte in Kassel gezeigte Gemälde »Untitled (hole)« (2013), die Darstellung eines lichterfüllten Durchbruchs innerhalb einer komplett schwarz gehaltenen Backsteinwand, misst vergleichsweise kleine 112,4 x 121 cm. Für ihre Gemälde wählt Toba Khedoori Motive, in denen Weite und Unendlichkeit ganz anders angelegt sind als auf den Zeichnungen. Das Bild »Untitled (branches I)« von 2011/12 zeigt in einer ausschnitthaft wirkenden Ansicht ineinander verschlungene Äste und Zweige innerhalb eines winterlich anmutenden Waldes. Das 2014 entstandene, nahezu fotorealistisch wirkende Gemälde »Untitled (tile)« wiederum zeigt einen glänzenden Mosaikfußboden mit geometrischem Muster samt Lichtreflexen, die von einem nicht dargestellten Scheinwerfer oder Blitzlicht hervorgerufen zu sein scheinen.

Was Toba Khedooris Zeichnungen und Gemälden also gemeinsam ist, sind die Verweise auf eine außerhalb des Bildraumes existente Wirklichkeit, sei sie nun mystisch aufgeladen oder womöglich bloß rein technischer Natur. Distanz und Nähe, Präzision und Vagheit, Rationalität und Transzendenz, das Sichtbare und das Unsichtbare kommen auf diesen Bildern auf eine sehr eigentümliche und die Betrachter*innen daher umso mehr berührende Art zusammen.

Nicole Büsing / Heiko Klaas