Polemik

Textauszug

Hauptstadt-Perspektiven
Nicht nur die SPK, der Berliner Kunstbetrieb bräuchte allerdings bessere Nachrichten. Ein schwacher Trost, dass die Rettung der 2004 in Betrieb genommenen Rieckhallen, einst für die umstrittene Aufnahme der Friedrich Christian Flick Collection vom Sammler mit /»HAUPTSTADTPERSPEKTIVEN« eigenem Geld renoviert, als Erweiterung des Hamburger Bahnhof nach letzten Meldungen zumindest auf Kurs ist. Die weitläufigen Hallen und zudem das Grundstück, auf dem die historische Bahnhofshalle steht, waren nicht öffentliches Eigentum, sondern gehören einem Immobilienunternehmen, der österreichischen CA Immo. Eine überraschend im letzten Jahr publik gewordene Nachricht. Es galt schon als ausgemacht, dass das Unternehmen, Entwickler der so genannten »Europacity«, die Rieckhallen zum Jahresende abreißen will. Gleichwohl blieb der große Aufschrei über den drohenden Verlust aus. Zu gut verbarg sich etwa eine Rettungsinitiative von Peter Raue, einst Gründer der mächtigen Freunde der Nationalgalerie, zusammen mit Peter-Klaus Schuster, dem ehemaligen Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin (SMB) unter dem dramatischen Titel »Rettet die Rieckhallen« im Sommerloch. Das Land Berlin war nun monatelang bemüht, den Standort zu sichern – mit ebenso lang ungewissem Ausgang. Wenn nun der Plan für einen Grundstückstausch gefasst ist, ein entsprechendes Memorandum zwischen Land und Konzern unter Dach und Fach ist, gut.
Planungssicherheit für langfristige museale Arbeit sieht anders aus, was auch Kunstlaien einleuchten dürfte. Sprechen die SPK-Verantwortlichen etwas vorschnell schon von »Rettung«, steht der Bund auch eine knappe Woche nach der Bundestagswahl bei seinen Bemühungen um den Erhalt des Haupthauses mit leeren Händen da. Überfällig, die einseitige mediale Fixierung auf den »Kunstmarkt« und seine Erfolgsgeschichten aufzugeben, die nicht nur die Kunstkritik lähmt, sondern bis heute ein Lieblingsthema unter Künstlerinnen und Künstlern ist. Eine gute Nachricht könnte sein, dass es schwerer zu ignorieren sein wird, wie abhängig der Kunstbetrieb von seinen politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen ist: Produkt von Kunstmarkt und Kulturbürokratie. Es wollen Lehren aus dem kulturbürokratischen Pandemie-Sprech gezogen sein, dass Künstler eben keine Künstler, sondern »Soloselbstständige« und »Kleinunternehmer« sind – und dabei nicht nur in Berlin mehrheitlich wirtschaftlich prekär dastehen, Gender Gap inklusive. Auch hier hat die Pandemie die bestehende Schieflage nur noch verstärkt.
Einen Vorgeschmack gibt schon jetzt das Humboldt Forum, das noch vor seiner Inbetriebnahme im September dieses Jahres architektonisch, konzeptionell und inhaltlich völlig vor die Wand gefahren war. Auf die Kollateral- und Folgeprobleme der vertröpfelten SPK-Reform darf man gespannt sein. Bis jetzt führte die Reform vor allem zu einer Stärkung des SPK-Präsidenten. Die widersprüchlichen Signale könnten insgesamt ein Symptom dafür sein, dass die Zeit der großen, öffentlichen
Museen schon vorbei ist, trotz teurer Neubauten ohne innere Notwendigkeit. Die in der Endphase des Wahlkampfs getroffenen Personalentscheidungen weisen zudem darauf hin: Eine finanzielle, organisatorische und legitimatorische Stärkung der Institutionen – nicht zuletzt, um sie gegenüber Sammler- und Sponsoreninteressen abzuhärten – ist eher nicht zu erwarten. Das neoliberale Mantra, das »mehr mit weniger«
will – im Falle der Kultur vor allem mehr niedrigere Schwellen –, wird nicht einfach so ausfaden. Was das alles mit den Kulturschaffenden, mit Ihnen und mir zu tun hätte? Das seit längerem bekannte Problem der strukturellen Unterfinanzierung des Kulturbetriebs, die auch zu einer Aushöhlung des Marktes führt und damit massiv zur Entwertung künstlerischer und kultureller Arbeit beiträgt, bleibt unangetastet, ja wird nicht einmal anerkannt. Kein Wunder, dass Kunst als spezifische Praxis- und Wissensform im breiten gesellschaftlichen Diskurs keine Rolle spielt. Wer an ihr dagegen als Wissens- und Handlungsraum für
ästhetisch-intellektuelle Transformation und als emanzipatorisches Projekt interessiert ist – und davon am Ende noch leben will –, braucht weiterhin einen langen Atem und hat besser mal geerbt.

Hans-Jürgen Hafner