Portrait

Felix Dreesen & Stephan Thierbach, Treibgut Kulissenmalerei (21.08.2019 15:57:21 - 23.08.2019 14:03:27), Detail, in Kooperation mit Theater Bremen, Acryl auf Ausstellungswand,
2019/2021, Ausstellungsansicht: GAK Gesellschaft für Aktuelle Kunst, Foto: Franziska von den Driesch

Textauszug

Felix Dreesen
In der Bremer Gesellschaft für Aktuelle Kunst präsentiert Dreesen seine erste institutionelle Einzelausstellung. Die GAK liegt am Ufer der Weser, nahe der Innenstadt, unweit des Firmensitzes von Kühne+Nagel. Unter den Exponaten befindet sich eine Reihe von Fenstern, hintereinander an die Wand gelehnt, das Glas beschriftet ohne einen Text erkennen zu lassen. Der Künstler hat sich »die Fenster angeeignet«, nachdem sie aus dem alten Stammsitz von Kühne+Nagel herausgerissen worden waren. Protestierende hatten die Fenster mit Daten bemalt, die auf eine Mittäterschaft des global operierenden Transportunternehmens an den NS-Feldzügen gegen das Judentum verwiesen. Kühne+Nagel erledigte während der Nazi-Diktatur den Abtransport enteigneten jüdischen Besitzes aus mehreren europäischen Ländern. Gründer-Enkel Klaus Michael Kühne bezweifelt im Rückblick, dass dies willentlich und wissentlich geschehen sei. Als Dienstleister habe man eben so agieren müssen, wie andere auch. Genau diese Dienstbarkeit, gepaart mit Geschäftssinn, machte die NS-Verbrechen möglich. Das Narrativ des Profiteurs aus Komplizenschaft mit einem Terrorregime war während des Umbaus und der Einweihung des neuen Gebäudes durch Protestaktionen und Recherchen medial präsent. Doch wie bleibt Erinnerung verfügbar, wenn Architektur hinter der Machtsymbolik aus Größe, Volumen, Verdrängung und Überwältigung die wahren Fundamente von wirtschaftlicher Potenz und öffentlichem Einfluss verschleiert? Mit welchen ästhetischen Strategien lassen sich Erinnerungen und Erkenntnisse wecken und wach halten?

In der GAK sind die ausgerissenen Fenster wie Archivalien platziert. Die Fenster an der langen Seitenwand des Galerieraums sind weit geöffnet. Die markante Fensterfront ist ein Markenzeichen der GAK, in viele Ausstellungen war sie als Objekt oder Akteur mit einbezogen. Die offenen Fenster laden nicht nur offensiv zum Blick in den Stadtraum ein, sondern umspielen auch für das Bildverständnis bedeutsame Phänomene: die Schwelle zwischen Innen- und Außenwelt, Lebensraum und Kunstraum, die Rahmung des Blicks, die Vorstellung des einschließenden und abgrenzenden Formats als Projektionsfläche und als Spiegel, was Imagination und Reflexion gleichermaßen eröffnet und thematisiert. Im Status der Öffnung adressiert die Fenstersituation aber auch die Sinne, die in Bildwerken für gewöhnlich ausgeblendet sind: man spürt den Luftzug, riecht das Wasser, hört die Geräusche der Stadt. So ist Kunst einerseits in ihrem angestammten Bezirk der Distanz und der reflektierten Beobachtung präsent, andererseits vermittelt sich auch das Gefühl mittendrin zu sein.

Eben dieser Mischung entspricht die Erfahrungsqualität in einem Projekt, das Dreesen ebenfalls in den Galerieraum überträgt. Die Fenster der GAK passierte der Bremer Künstler im Jahr 2019, als er sich zusammen mit seinem Freund und Kollegen Stephan Thierbach auf einem selbst gebauten Floß von Kassel nach Bremerhaven hat treiben lassen. Die Aktion diente einer Landschaftserkundung, wobei nicht nur die Landschaft als solche, sondern auch Landschaft als Begriff und als Vorstellung in den Blick genommen werden sollte. Ausgestelltes Resultat dieses Projekts ist eine über mehrere Wände reichende Malerei. Die Faktur des Bildes ist durch eine pulvrig erscheinende Stofflichkeit und eine zwischen Auflösung und Aufscheinen changierende Unschärfe gekennzeichnet. Dunst liegt auf der teils fragmentarisch auftauchenden Landschaft, womit sich das Visuelle auch als ein tendenziell Entziehendes und Verschwindendes, als ein dem Verkehrsweg entsprechend Fließendes darstellt.

Der Malerei liegen Aufnahmen zugrunde, die eine sogenannte Fotofalle von der Landschaft am Rand der Weser eingefangen hat. Dreesen und Thierbach haben die fotografische Dokumentation von den eigenen subjektiven Empfindungen und Eindrücken abgekoppelt und dem Apparat anvertraut, der auf Bewegung reagiert. Auch die malerische Umsetzung auf die Galeriewand haben sie delegiert. Gemäß dem Kulissencharakter der Landschaft, wie sie ihn auf ihrer Fahrt empfunden haben, vertrauten sie auf Bühnenmalerinnen und -maler des Bremer Theaters. Diese hielten sich so nah wie möglich an die Fotovorlagen.

Rainer Beßling