Interview

Chto Delat, Lighthouse (It Is Getting Darker), 2017, Exhibition view KOW, Berlin, 2017, Photo: Ladislav Zajac | KOW, Courtesy of Chto Delat and KOW, Berlin

Textauszug

Alexander Koch & Nikolaus Oberhuber
J.Krb: Der Galerist als Global Player und cooler Marketingstratege, mit schwarzem Anzug von Prada oder lässig mit Jeans und Sneakers, der mehr Zeit im Flieger als in seiner Galerie verbringt - ein Bild der Boulevardpresse oder inzwischen Wirklichkeit im Kunstbetrieb?

AK/NO: Galeristen spielen viele Rollen, gelegentlich auch diese. Trotzdem ist das ein Zerrbild, auch was die Ambitionen betrifft. Stellen Sie sich Galeristen doch mal als Menschen vor, die morgens die Zeitung lesen und sich den Rest des Tages fragen, wie sich ihr Programm zu dem stellt, was in der Welt los ist. Als Galeristen sind wir doch vor allem Überzeugungstäter. Im Zentrum stehen die Inhalte der Werke unserer KünstlerInnen, die Produktion der Ausstellungen, der öffentliche und ökonomische Impact der Galerie.

J.Krb: Künstler entdecken, fördern, begleiten – sind das die wesentlichen Parameter Ihrer Galeriearbeit?

AK/NO: Natürlich operieren wir wie eine Agentur, die Künstler findet, unterstützt und für sie einsteht. Aber wir sind auch Autoren unseres eigenen Programms, das wir über die Jahre gebaut haben. KOW ist auch Diskurs, Ausstellungshaus, Vermittlung, nicht unabhängig von den Künstlerinnen, aber doch mit einem eigenständigen Profil.

J.Krb: Wie definieren Sie Ihren Kunstbegriff, mehr gesellschaftlich bezogen oder selbstreferentiell, mehr inhaltlich oder formal?

AK/NO: Diese Opposition stimmt so nicht. Aber wir votieren für eine Kunst von der wir der Auffassung sind, dass die Gesellschaft etwas davon haben könnte, sich mit ihr zu befassen. Und da gibt es schon Unterschiede in den Haltungen, Formensprachen und Themen, von denen manche sich deutlich der sozialen Wirklichkeit stellen und andere nicht.

J.Krb: Keineswegs möchte ich mich dem allgemeinen documenta-Bashing wie »Festival der gutmütigen Folklore« (Welt) oder »Neuer Höhepunkt der Krise politischer Kunst« (TAZ) anschließen. Ich denke, die documenta 14 hat den von Catherine David und
Okwui Enwezor bereits eingeleiteten Perspektivwechsel verstärkt. Die Öffnung zu anderen Kulturen, die globale Betrachtung der Welt der Kunst, die Hinterfragung des eigenen Wertekanons wird uns stärker als bisher beschäftigen müssen. Wie beurteilen Sie die documenta im Nachhinein, was wird bleiben?

AK/NO: d14 hat einen großen Schritt nach vorne gemacht in eine postkoloniale Perspektive. Die ganze Methode der d14 basierte auf der Weigerung, einen zentralen Ort, ein zentrales Thema, Zentralität überhaupt einzurichten. Das ist bei so einem Schlachtschiff sehr knifflig, und wir finden, das Manöver gelang ziemlich gut. Da wird man künftig nochmal draufschauen, wie sie das eigentlich gemacht haben.

J.Krb: Kunst möge uns ambivalent gegenübertreten, Komplexität vermitteln, verschiedene Leseweisen zulassen, Form und Inhalt sollen nicht in Schieflage geraten. Sind diese Kriterien allgemein verbindlich oder haben wir unsere Kategorien, mit denen wir Kunst analysieren, loben und kritisieren, aufgrund der Globalisierung zu hinterfragen?

AK/NO: Da steckt Pfeffer hinter der Frage. Tatsächlich operieren Sie und wir in einem westlichen Kulturparadigma, das sich über den ganzen Globus legen wollte mit seinen Kriterien, Werteschemata, und letztlich mit seinem Dominanzanspruch. Die Entkolonialisierung kann nur bedeuten zu erkennen, dass unsere Kriterien und Kategorien ein Teil der Gewalt sind, die der Westen weiten Teilen der Welt zugemutet hat. Davon Abstand zu nehmen ist keine leichte Übung, aber dringend nötig.

J.Krb: Gibt es nicht nur in der Politik, sondern auch in der Kunst eine Sehnsucht nach einfachen Wahrheiten, eine Sehnsucht moralisch richtig zu liegen. Ist vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Probleme und Konflikte ein kritischer, leidenschaftlicher, »linker« Populismus in der Kunst vonnöten wie ihn Raimar Stange fordert?

AK/NO: Jein. Die Frage liegt auf der Hand, wie wir dem Rechtspopulismus durch populäre, d.h. weithin attraktive Gegenpositionen begegnen können, die Aussicht auf eine Mehrheit haben. Ob ein Gegenpopulismus die richtige Idee ist, ist fraglich, wenn Populismus die Anmaßung beinhaltet, dass wenige behaupten, für viele (oder alle) zu sprechen. Es gibt in der Kunst übrigens auch die Sehnsucht, moralisch falsch zu liegen, um dem Moralismus in die Speichen zu grätschen. Denken Sie etwa an Santiago Sierra, Renzo Martens oder Barbara Hammer.

Joachim Kreibohm