Polemik

Palermo, La Kalsa / Altstadt, Sommer 2018, Foto: Sabine Maria Schmidt

Textauszug

»The Planetary Garden - Cultivating Coexistence«
Als Wiege Europas gilt das Mittelmeer. Und kaum ein anderer Ort wie das aus kulturellen Diversitäten geformte Palermo mit seinem historischen Portfolio scheint so geeignet, akute Fragen und Probleme modellhaft zu untersuchen. In Palermo hat die Manifesta wieder ihre Kurve gekriegt. Zum 12. Mal findet die europäische Wanderbiennale statt, die sich dem Zusammenwachsen des in den 1990er Jahren noch sehr jungen europäischen Staatenverbundes aus kultureller Perspektive widmet. Die letzten beiden Ausgaben in St. Petersburg und Zürich führten in ökonomisch potente Metropolen. Opulent erschien es in St. Petersburg mitten in der Ukraine-Krise. »What people do for money« lautete zwei Jahre später in Zürich das Motto, das allerdings künstlerisch etwas verhaspelt schien und wenig kritisch beantwortet wurde. Künstler sind eben auch nicht bessere Großformat-Kuratoren, die aktuell ja von einigen gerne abgeschafft gesehen werden würden.

In Palermo heißen die Kuratoren des Teams, das sich aus unterschiedlichen Disziplinen zusammensetzt, nun Kreative Mediatoren, was ihre enormen Leistungen nicht schmälern sollte. Das sind neben dem gebürtigen Sizilianer und OMA-Partner Ippolito Pestellini Laparelli die niederländische Filmemacherin und Journalistin Bregtje van der Haak, der spanische Architekt Andrés Jaque und die Kuratorin Mirjam Varadinis vom Kunsthaus Zürich. Die haben sich erst einmal monatelang zu Recherchen durch die Insel geackert und eine faszinierende Kartographie vorgelegt: den Palermo-Atlas.

Über 50 Teilnehmer agieren an 20 Orten. Hinzu kommt ein umfangreiches Programm an kollateralen Ausstellungen, in denen man sich bei den Streifzügen durch die Stadt verlieren kann. Drei Hauptthemen gliedern die Beiträge, die sich an den verschiedenen Orten immer wieder überschneiden: Zunächst die Stadt als Bühne zu zelebrieren, dann die Stadt als metaphorischen Garten zu verstehen, in dem sich aus Disparatem funktionierende Gemeinschaften bilden lassen. Der dritte Themenbereich widmet sich den unkontrollierbaren Räumen im Zeitalter der Digitalisierung, die es zu visualisieren gilt. Hier zählt die Manifesta auf Künstler, die sich auch in den beeindruckend-ruinösen Räumen des Palazzo Ajutamicristo, des Palazzo Butera oder Palazzo Forcella de Seta zu behaupten wissen. James Bridle etwa, der mit »Citizen EX« die Analyse von Staatenzugehörigkeit über die Internetzugänge visualisiert. Oder Tania Bruguera, die die sizilianische Widerstandsbewegung gegen das amerikanische Satellitenkommunikationssystem MUOS bei Niscemi nachzeichnet. Laura Poitras folgt den Signalen von MUOS, das die Kommandozentralen der US-Streitkräfte drahtlos mit 18.000 militärischen Rechnern weltweit verbindet und die Lenkung und Kontrolle von Drohnen verbessern soll. Trevor Paglen zeigt Portraits, die für Gesichtserkennungsprogramme gemacht wurden. Das Peng-Collectiv aus Berlin stellt erneut seine Telefonkabine »Call-A-Spy« zur Verfügung und bietet zahlreiche Telefonnummern von Geheimdiensten an. (Offenbar geht aber keiner ran). Ein zentrales Augenmerk gilt den Flüchtlingsströmen auf dem Mittelmeer. Forensic Oceanography verfolgt quasi live wie NGO’s und Seenot-Retter behindert und kriminalisiert werden. Erkan Özgan zeichnet – allerdings ein wenig zu distanzlos – Stimmen von traumatisierten Frauen auf, die vor der IS aus dem Nordirak geflohen sind.

Sabine Maria Schmidt