Portrait

158, October 1967, yellow, green-light cadmium yellow, blue, Installationsansicht St. Gallen, Foto: Mark Mosman, Courtesy the artist and Fergus McCaffrey

Textauszug

Marcia Hafif
Ausstellungen sind Statements, stellen aber auch die Kunst auf den Prüfstand. Insofern war die retrospektiv angelegte Marcia Hafif-Doppelausstellung der Schweizer Museen Kunsthaus Baselland Muttenz (16.09. – 12.11.2017) und Kunstmuseum St. Gallen (16.09.2017 – 14.01.2018) eine mutige Offerte in Zeiten, in denen Zeitgenossenschaft fast schon selbstverständlich mit einer dezidiert politischen Ausrichtung gleichgesetzt wird. Ohnehin scheinen die Eidgenossen ein Faible für Farbmalerei zu haben. So arbeitet beispielsweise der Zürcher Galerist Mark Müller schon seit mehr als zwanzig Jahren mit Marcia Hafif zusammen. Die Position der amerikanischen Künstlerin Marcia Hafif (geb. 1929 in Pomona, Kalifornien) dagegen ist selbstreferenziell, sie kreist um die Sprache der malerischen Mittel und kennt keinen Bezug außerhalb der Bilder. Oder doch? Immerhin lässt sich ihre Kunst nicht denken ohne den Raum, in dem sie installiert wird. Die so unterschiedlichen Raumkonzepte der beiden Häuser – kühle Industriearchitektur in Muttenz und klassizistisch-imposanter Museumsbau in St. Gallen – boten der 88jährigen Marcia Hafif die Gelegenheit, das breite Spektrum ihres Werkes über einen Zeitraum von 50 Jahren als großen Auftritt zu inszenieren. Wie für die gesamte analytische Malerei gilt auch hier die Maxime, dass die Bilder erst mit ihrer Installation im Raum ihre ganze Kraft entfalten. Insbesondere die atemberaubende Installation der 93 Abstufungen von Weiß zu Schwarz der (insgesamt 106 Werke umfassenden) Reihe »An Extended Gray Scale« von 1972 im klassischen Oberlichtsaal des St. Gallener Kunstmuseums ließ die Frage nach zeitgenössischer Relevanz obsolet erscheinen. Ein 45 Jahre nach seiner Entstehung derart präsentes Werk kann wohl eine überzeitliche Gültigkeit beanspruchen, die Zeitgenossenschaft sowieso mit einschließt.

Das weitere Verdienst dieser Doppelausstellung war, durch die Einbeziehung von Filmen und Fotografien den Fokus stärker auf Marcia Hafif als Konzeptkünstlerin zu legen und ihre bisherige einseitige Wahrnehmung als Malerin – wogegen sie selbst stets rebellierte – zurechtzurücken. Hafifs künstlerische Sozialisation fand in einer Zeit statt, in der die Malerei des heroischen abstrakten Expressionismus an ein Ende gelangt war.

Vereinzelung und Exposition: Damit scheint das Prinzip gefunden, das Hafifs divergierendes Werk vorantreibt. Als sie am 1. Januar 1972 mit 42 Jahren ihre fundamentale Untersuchung »The Inventory« startet, ist es der einzelne Strich, den sie aus dem Gesamtgefüge der Malerei isoliert und in einer Bleistiftzeichnung dicht an dicht auf das Papier setzt. Es ist letztlich dieser schlichte Strich und die Art und Weise seiner Setzung, aus dem sie den gesamten Kosmos ihres Langzeitprojekts »The Inventory« entwickelt. Entscheidend dabei ist der Anteil des Künstlers durch das Zeichnen oder Malen mit der Hand. Das ist auch der Unterschied zur Minimal Art, mit der Hafif viele Faktoren – Besinnung auf den Eigenwert des Materials, die Askese der Mittel, die Einfachheit der Geste – teilt: Ihre berühmte Definition: »Paintings, hand painted surfaces, are composed more or less evidently of a series of brushstrokes« (Getting on with painting, 1981) lässt sich aus dem Rückblick auf die traditionelle westliche Malerei verstehen, deren Methoden und Materialien sie einer Bestandsaufnahme unterzieht.

Marcia Hafif ist eine der bedeutendsten Vertreterinnen der analytischen Malerei, Teilnehmerin der bahnbrechenden Ausstellung »Radical Painting«1984 im Williams College Museum of Art, Williamstown, Massachusetts und vieler anderer Malereiausstellungen, gerade auch in Europa. Aber sie ist viel mehr als das. Farbe ist für sie ein Medium neben anderen, um den Dingen auf den Grund zu gehen. Es hat lange gedauert, bis auch ihr nicht-malerisches Werk zur Kenntnis genommen wurde. Jetzt endlich zeigt das Münchner Lenbachhaus im Kunstbau eine Gesamtschau ihrer Filme aus den Jahren 1970 – 1999 (bis 30.09.2018), darunter die Super-8-Filme »Notes on Bob and Nancy« (60 Min., 1976) und »India Time« (40 Min., 1978), der aus einer mit Robert Morris unternommenen Indienreise hervorging. Wie in all ihren Arbeiten herrscht auch in ihren Filmen das Insistieren auf der Bedeutung des Details und das für die Entwicklung der Dinge notwendige Zeitmaß. Hafif speichert die Intensität der sich in der Zeit vollziehenden Handlung wie in einer Batterie, ob es sich um Malerei, Zeichnung, Film, Fotografie, Performance oder Text handelt. Am 17. April 2018 ist Marcia Hafif mit 88 Jahren in Laguna Beach, Kalifornien gestorben.

Sabine Elsa Müller