Portrait

ohne Titel, 2018, Stahl, Agar, Gitter, Zement, Ausstellung »Beyond Thrill«, Künstlerhaus Bremen 2018, Foto: Daniel Wimmer, Courtesy Tina Reinecke

Textauszug

Tina Reinecke
Wie lässt sich eine Erzählung über die jüngste Arbeit von Tina Reinecke beginnen? Am besten mit dem Verweis darauf, was sie nicht war. Damit wäre gleich ein wichtiges Moment in der Arbeit der Bremer Künstlerin beleuchtet: Abgrenzung. Reineckes Auftritt im Künstlerhaus Bremen war keine leicht vermittelbare Ausstellung mit fester Begrifflichkeit, schon gar keine Präsentation marktgängiger Kunstware. Fünf große rostige Armierungskörbe bestimmten den Ausstellungsraum, gefüllt mit Agar. Die mit Glitzer garnierte Geliermasse bröckelte rasch, schimmelte, nahm die Rostfarbe des Eisengerüsts an, zerbröselte in verschiedenste plastische Gebilde. Manche Besucher mochten sich bei den Moniereisen, die im Aufbau und Abbruch an die Oberfläche der Architektur kommen, an Arbeiten Reineckes zum urbanen Raum erinnert gefühlt haben. Doch ihre Künstlerhaus-Schau war kein bloßer Kommentar zum Städtebau, mit kritischer Reflexion allein konnte man der Arbeit nicht beikommen. Nicht leicht fiel es Reinecke, sie von vertrauten symbolischen Anlagerungen abzugrenzen. Sie stellte kein postkatastrophisches Mahnmal dar, sie sollte keine Assoziationen an Endzeitbilder eines C.D.Friedrich wecken, keine Pa-rallelen zu Nachkriegsgedenkstätten der 1960er Jahre aufweisen, keine Wirkungsähnlichkeiten mit Menetekeln zu 9/11. Sie blendete vielmehr die Zeit und die Stimmung nach dem Rausch auf: »Beyond Thrill«.

Nach der Party - in dem Stimmungsraum für ihre jüngste Arbeit sieht Reinecke eine Signatur für die gesellschaftliche Situation im allgemeinen. Eine Gesellschaft in der Warteschleife zwischen Entzug und Ekstase bei neoliberalem Grundrauschen: Ist doch alles okay - oder? Ihr Verständnis für den öffentlichen Raum, mit dem sich die Künstlerin in verschiedenster Weise auseinandersetzt, schließt auch die Spielstätten der hedonistischen Kultur ein. Diese liegen eher im Rückraum des städtischen Lebens und sind dennoch kaum zu überschätzen in ihrer Bedeutung für die Ausbalancierung der Energien, für die prekäre Stabilisierung der zivilen Gemeinschaft. Reinecke hält die Club-Kultur in Video- und Audioarbeiten fest. Sie greift dabei auf Material aus dem Internet und auf eigene Aufnahmen zurück. Die Bilder und Sounds sind laut und übersteuert, schemenhaft, ein Rauschen des Sichtbaren und Hörbaren, das sich nebelhaft der Erkennbarkeit entzieht, das die Protagonisten in den Schleiern und Schemen ausgesetzter Zeit und ausgeblendeten Raumes agieren lässt. Das Publikum dieser Aufnahmen, das laut und unscharf auftritt, wird diesem Empfindungsstrom ausgesetzt. Keine Distanz ist intendiert, sondern pures Eintauchen in das Wechselspiel von Entladung und Aufladung, in eine Feier des Physischen, die das Gegengewicht zu den Zumutungen des Alltags im Exzess und in der Expression sucht, im Aussetzen des Götzen der rationalen Betriebsgesellschaft, der Effizienz.

Tina Reinecke ist eine kritische Kommentatorin von Zeitgeschehen und Zeitgeschichte, aber auch eine Bildhauerin mit Gespür für das Stoffliche und mit dem Hang, konventionelle gestalterische Zugriffe zu unterwandern, wie ihre jüngsten Glibberarbeiten dokumentieren, die »nichts können außer zu sein«. Reinecke kommentiert die Realwelt »da draußen« deutlich lieber als die Konventionen des Kunstbetriebs. Allerdings fühlt sie sich von denen nicht weniger angefasst.

Rainer Beßling