Portrait

Brunnen, 2016, Ast, Pumpe, Tüte, Wanne. 110 x 60 x 50 cm

Textauszug

Jörg Obergfell
Man weiß es ja: Der ganz große Wurf kann durchaus sehr leise daher kommen. Dennoch hat es die sparsame, pointierte Geste immer schwerer, ihr Publikum zu finden. Oder woran sonst könnte es liegen, dass der Name Jörg Obergfell selbst in gut informierten Kreisen kaum bekannt ist? Dabei ist der 1976 in St. Georgen geborene Künstler ausgesprochen zielstrebig und umtriebig. Nach einer handwerklichen Ausbildung als Holzschnitzer in Garmisch-Partenkirchen folgte das Kunststudium in Nürnberg in der Klasse von Ottmar Hörl, unterbrochen von einem Studienaufenthalt an der Kunstakademie in Lyon. Danach machte Obergfell noch seinen Master of Fine Arts am Goldsmiths College in London, wo er bis heute immer wieder ausstellt. 2005 war er der erste Künstler in der Newcomern gewidmeten Reihe »Frischzelle« des Kunstmuseum Stuttgart und nahm an der Fellbacher Triennale der Kleinplastik teil. Im Großstadtdschungel von Seoul inszenierte er sich selbst 2008 als King Kong. Die dabei entstandenen Fotos stellte er erst dort und ein Jahr später auch in Tokyo aus. 2014 gehörte er zu den Stipendiaten von Schloss Ringenberg. Inzwischen lebt er in Köln.

Die veränderten Maßstäbe und Relationen öffnen den Raum für weitere Maßstabsverschiebungen. Eine abstrakte Skulpturen miniature lässt sich auch als Architekturmodell lesen. In seiner Kong Serie verwandelt Jörg Obergfell die typischen modernistischen Skulpturen des öffentlichen Raumes in Wolkenkratzer-Architekturen, indem er sie in einem selbst gefertigten King Kong Kostüm »bezwingt« (2008). Die dabei entstandenen Fotografien rufen nicht nur unmittelbar die berühmten Filmbilder von King Kong auf der Spitze des Empire State Buildings vor Augen – die zum Architekturmodell umfunktionierte Skulptur schrumpft auf das Niveau eines Sockels für eine Affenfigur, die an die Holzfiguren von Stephan Balkenhol erinnert. Wieder einmal trotzt der urbane Raum dem Einbruch des Wilden, diesmal durch Verwandlung in Kunst.

Auch wenn in Jörg Obergfells Arbeiten außerhalb seiner performativen Aktionen kaum Menschen auftauchen, ist der Mensch ebenso wie Tiere und die Natur als Bezugsgröße allgegenwärtig. Kultur und Natur stehen in ständigem Austausch und sind nicht voneinander zu trennen. Eine Skulptur wie »Einsamer Baum« (2011) nimmt die kulturelle Konditionierung mit in den Blick. Caspar David Friedrichs »Einsamer Baum« aus dem Jahr 1822 stand dafür regelrecht Modell. Zur Nachbildung wurden diesmal für den Stamm ein Stück Treibholz und für die Blätter Material aus dem urbanen Kontext verwendet: Jedes einzelne Blatt wurde aus Printmedien, Zeitungen, Verpackungsmaterial und dergleichen ausgeschnitten. Aber auch diesmal verwandelt die Kopie das Original. Da der gemalte Baum in einer dreidimensionalen Version wiederaufersteht, kann man um ihn herumgehen und auch die vermeintliche, auf dem Bild nicht sichtbare Rückseite betrachten. Und im Gegenzug zu dem durch Fotografie gezähmten King Kong findet der aus der Bildfläche befreite Baum zurück zu seinem wahren, wilden Wesen – »ein Monster mit Klauen statt Ästen, das aus dem Wald ausbricht und in die Stadt eindringt«, wie es Nick Currie in seinem Essay über Obergfells Arbeiten formuliert.

Mit seiner jüngsten Arbeit »Brunnen« (2016) schlägt Jörg Obergfell wieder ein neues Kapitel auf. Wieder ist es der Stadtraum, der ihm das Material für diese staunenswerte Bricolage-Ästhetik liefert. Ein rüde abgesägter Ast von irgendeinem lästig gewordenen Busch oder einer zu sehr ins Kraut geschossenen Zimmerpflanze. Dazu die bereits bekannte Plastiktüte. Der Ast ragt aus einer Wanne, und aus der mit Wasser gefüllten Tüte zielt ein dünner Strahl mit nicht nachlassender Spannkraft in dieselbe. Fertig ist der lauschig plätschernde Zimmerbrunnen! Wenn er mit den käuflich erwerbbaren Modellen auch so gar nichts gemein hat, so doch mit einigen Parametern seiner Vorbilder im öffentlichen Raum. Als Metapher des ewig sich erneuernden »Wasser des Lebens« ist sein Illusionismus perfekt, denn durch welchen geheimen Mechanismus das Wasser wieder in die Tüte zurückläuft, so dass ein geschlossener Kreislauf in Gang gehalten wird, ist nicht zu erkennen. Ast, Plastiktüte und vor allem auch die Plastikwanne wirken zwar reichlich ramponiert, bringen aber alles mit, was ein Brunnen eben braucht, bis zu der mit einem gewissen kühnen Schwung sich emporhebenden Brunnenfigur. Dank des erheblichen Gewichts ihres Inhalts bilden sich feine Falten an den Wänden der Plastiktüte, deren strenge strahlenförmige Anordnung besonders den Freunden der minimalistischen Reduktion zusagen dürfte. – Zu bestaunen ist diese Arbeit in einer Ausstellung im Neuen Kunstverein Aschaffenburg e.V. noch bis zum 12. Juni 2016. (1) Jörg Obergfell, The Highway climbs so high, Katalog, Centre Européen d´Actions Artistiques Contemporaines, Straßburg, 2012.

Sabine Elsa Müller