Artist Ausgabe Nr. 88

Portraits

Katarina Seda | Franziska C. Metzger | Fabrice Samyn | Rosemarie Trockel | Stefan Wissel

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Zilla Leutenegger

Künstlerbeilage

Dirk Dietrich Hennig

Portrait

Hals, Nase, Ohr und Bein, 2009, Mixed Media, 68 x 58 x 3,8 cm, Courtesy Sprüth Magers Berlin London, © VG Bild-Kunst, Bonn 2011

Textauszug

Rosemarie Trockel
Dieser Erfolg verdankte sich auch der Tatsache, dass Rosemarie Trockel die Zeichnung und andere Papierarbeiten, wie eben die zwischen 1978 - 1997 entstandenen Buchentwürfe, immer als gültige Ausformulierungen betrachtet hat. Mit den erst in den letzten Jahren von ihr entwickelten sogenannten Collagen wird eine Werkgruppe einbezogen, die ihr erlaubt, sich über die Zweidimensionalität der Zeichnung hinwegzusetzen und den Exkurs in den Raum zu öffnen. Die Collagen verbinden die Zeichnung mit der Malerei und mit dem Objekt. Es handelt sich um große flache Holzkästen, in denen sie unterschiedlichste Elemente wie Stoff, Fotografie, Farbe, Zeichnung auf Papier oder auf anderen Bildträgern wie Leinwand oder Strick arrangiert, auf die Fläche tackert, klebt oder näht. Sie erweisen sich als kongeniale Projektionsebenen des permanenten Trockel´schen Transformationsprozesses. In der Herstellung einer Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen werden Fundstücke aus dem privaten und kollektiven Archiv einer aktuellen Befragung unterzogen, kommentiert und ergänzt.

Die Collage »Hals, Nase, Ohr und Bein« von 2009 kombiniert den Buchentwurf »Anonymous« aus dem Jahr 1987 mit den Zeichnungen »Frau auf Sockel« (1982), »Wo ist Niemand« (1984) und »Collection Desir« (1998). Die malerische Behandlung des Holzkastens entschärft nicht nur den harten und aggressiven Kontrast zwischen der zarten »Frau auf Sockel« und einem schattenrissartigen, brutal mit einem Tesastreifen fixierten Affenkopf, sondern leitet auch über zum Sepiaton der akzentuierten Haarpracht der beiden Frauen in »Wo ist Niemand«. Ein anderes markantes Detail der ungleichen Schwestern / schwesterlichen Freundinnen / konkurrierenden Feindinnen ist der altmodische Schnürverschluss ihrer Kleider, der sich wiederum mit den Verschlingungen des in »Anonymous« abgebildeten Strickmusters verbindet.

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1992 gab es im Kölner Museum Ludwig schon einmal eine Ausstellung, die ganz den Papierarbeiten Rosemarie Trockels gewidmet war. Aus dieser Zeit stammt ihre Aussage »Wenn sich was Zeichnerisches entwickelt, betrifft es immer die dritte Dimension.« Aus diesem Satz lässt sich wohl kaum der Umkehrschluss ziehen, dass den Skulpturen, Objekten, Filmen, Installationen, Architekturen, Strickbildern, Keramiken, Möbeln, Kleidungsstücken, Büchern und Kinderspielgeräten immer eine zeichnerische Erkundung vorausging. Aber die Zeichnung begleitet die Künstlerin von Anfang an. Deshalb lässt sich der Spannungsbogen dieses Werkes kaum besser herausdestillieren als im abgezirkelten Bereich der Graphik - der aber auch wieder über sich und die eigene Gattung hinausweist. Insofern kann man der unterlassenen Gegenüberstellung der Bonner Graphikausstellung vielleicht doch etwas Gutes abgewinnen. Denn so ungeteilt kommt den Papierarbeiten die Aufmerksamkeit zugute, die sie verdienen und die das Abwesende doch mitdenkt.

Sabine Elsa Müller