Artist Ausgabe Nr. 88

Portraits

Katarina Seda | Franziska C. Metzger | Fabrice Samyn | Rosemarie Trockel | Stefan Wissel

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Zilla Leutenegger

Künstlerbeilage

Dirk Dietrich Hennig

Portrait

Anakoluth, 2011 Installation mit Videoloop, (Holz, Latten, Silofolie, Papier, Lack, Neonröhren, flackernde Glühbirnen, Abspieltechnik: MiniTV, zwei Lautsprecher (Radio/Gebäudefragment); Bremer Kunstfrühling 2011 / Galerie Herold)

Textauszug

Franziska C. Metzger
»Anakoluth« heißt Franziska Metzgers jüngste Arbeit. Eine Art Wärterhäuschen mit Backsteinoptik und Fensterleiste, passend zur Gleishalle im Güterbahnhof, dem Schauplatz des Bremer Kunstfrühlings 2011. Perspektivisch verzerrt, proportional verschoben, steht die prekäre Konstruktion auf einem unzugänglichen Bahnsteig-Relikt, mehr Comic als Architektur, mehr Fassade als Raum. Eine schwankende Holzbrücke, flankiert von repräsentativen Parkleuchten, bietet ironisch Zugang an. Sounds und Videobilder umspielen den Kunstraum als subtile Antwort auf den Ausstellungsort und befördern ihn zu einer irrlichternden Hülle für allerlei Projektionen.

»Anakoluth« ist ein Begriff zur Beschreibung sprachlicher Phänomene. Er meint Brüche und Ausbrüche im Satz, Umstiege und Ausstiege. Formulierungen folgen dabei Gedanken und Mitteilungen, die nicht immer in der Spur bleiben, die von anderen Ideen gekreuzt oder überholt werden, die also eigentlich eines Stellwerks bedürfen. Doch in der technisch und rhetorisch korrekten Ordnung verblassen nicht selten Ursprung und Originalität. So kann Sprache auch als Schienenphänomen, als Transport- und Logistikproblem, begriffen werden. Syntax spiegelt sich in Architektur, im Wegenetz dürfen das individuelle Empfinden und das subjektive Einstiegsgefühl nicht den Anschluss verlieren.

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Immer wieder begegnet man in Franziska Metzgers Filmen grotesken Situationen und Gedankenflügen auf provinziellen Bühnen und vor Naturkulissen, in Schenken und an Lagerfeuern. Die Künstlerin überträgt ihre Lektürefunde einem schrägen, artifiziell alltäglichen Personal, bedient Klischees und entlarvt sie zugleich, zeigt Abgründe im Vordergründigen. Eingelassen in grob gebastelte, stets mitsprechende, als eigene Akteure auftretende Räume mit ländlichem Charme, gewinnen Reflexionen über das All und das Nichts, über das Leben und die Kunst, über Liebe und Zukunft eine bedrängende und zugleich anziehende Körperlichkeit. Die Sprache richtet sich in Räumen ein, das Ich in der Sprache. Die gedanklichen Höhenflüge reiben sich an erdverwurzelter Körperlichkeit, Gedanken an Empfindungen und Erfahrungen. Verstehensanfänge werden inszeniert, gegenüber geschlossenen Analysen herrscht Skepsis. Je mehr Häuslichkeit aus einer Szenerie mit metaphysischem Überbau spricht, desto befremdlicher und abgründiger erscheint diese Wohnwelt von Leib und Kopf.

Rainer Bessling