Artist Ausgabe Nr. 78

Portraits

Anna Meyer | Diango Hernández | Jake und Dino Chapman | Sebastian Gräfe | Omer Fast

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Antje Schiffers

Polemik

Hajo Schiff

Künstlerbeilage

Ralf Tekaat

Portrait

California Über-alles, 2003, bedruckter Banner aus Baumwolle, je 494 x 197 cm, © die Künstler, Foto: Mareike Sonnenschein

Textauszug

Jake und Dino Chapman
Jake Chapman hat ein Buch geschrieben, dessen Titel für das Wesen der Kunst, die er zusammen mit seinem Bruder Dinos schafft, symbolischer und sprechender nicht sein könnte. Es heißt: »The Marriage of Reason and Squalor«. Squalor bedeutet im Englischen soviel wie Elend, Schmutz, aber auch Verderbtheit und moralische Verkommenheit. Vom Inhalt und den Travestien des Buches, von seinen Abstürzen, in denen rosarote Idyllen umschlagen in rabenschwarzen Schrecken, soll hier nicht die Rede sein. Was an dieser Stelle allein interessiert ist die Allianz von »reason«, gleich Vernunft, und »squalor« im Sinne moralischer Verworfenheit. Damit ist ein thematischer Akkord angeschlagen, der sich mit logischer und luzider Persistenz durch das gesamte Oeuvre der britischen Künstler zieht.


Die Überblendung zweier Wirklichkeiten, die sich konterkarieren und zugleich verstärken, ist eine wichtige Strategie im Werk der beiden Brüder. Sie führt zur gedankentiefen Ambivalenz ihrer Arbeiten und zu ihrer Intensität, die den Betrachter so schnell nicht wieder los lässt. Sie kann man ausgezeichnet in der aktuellen Übersichtsausstellung ihrer Werke in der Kestnergesellschaft studieren, wohl eine der besten und stringentesten Schauen der britischen Künstler wie des hannoverschen Kunstinstituts. Wer hier als Betrachter nur Provokation und Pornografie am Werk sieht, greift definitiv zu kurz. Bereits die Fahnenparade im Eingangsbereich mit ihrer Allianz von Nazifarben und verdüstertem Smiley-Emblem präludiert das Thema einer immer gefährdeten Aufklärung. Im großen Ausstellungssaal dann der Paukenschlag: die Premiere der »Little Death Machines« (2008).

Michael Stoeber