vergriffen

Artist Ausgabe Nr. 102

Portraits

Nadira Husain | Thomas Baldischwyler | Elizabeth Price | Reinhold Budde | Berlinde de Bruyckere

Interview

Esther Schipper

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Matthias Ruthenberg

Interview

Esther Schipper, Galeristin, Berlin, Foto: Andrea Rossetti

Textauszug

Esther Schipper
J.Krb.: Die produzierte Kunst verlangt nach Präsentation und Vermittlung. Galeristen versuchen, den gängigen Ausstellungsrhythmus zu
durchbrechen, laden Kuratoren ein, suchen außerhalb des Galerie-raumes andere Orte der Präsentation, stellen die Galerie temporär als Werkstatt und Vermittlungsbüro zur Verfügung. Bedarf es dieser Vermittlungs- und Präsentationsformen oder ist eine Galerie, eine Galerie, eine Galerie?

E.Sch.: Die Präsentations- und Vermittlungsformen haben sich immer dem Zeitgeist angepasst. Auch eine Galerie sollte sich in ihrer Arbeit den Künstlern und deren Ideen anpassen und die besten Formen für eine geeignete Vermittlung anbieten. Früher gab es oft eine Laudatio auf den Künstler, das Werk und die Ausstellung, oft gehalten von HistorikerIn, SchrifstellerIn, DenkerIn, der die Bilder in Worte zu fassen wusste und somit die Ausstellung eröffnete. Heute werden Kuratoren eingeladen, die Kunst in einen Kontext zu setzten, eine Werkauswahl zu treffen, Zusammenhänge zu zeigen und um einen Zugang zur Ausstellung und zur Kunst zu schaffen.

J.Krb.: Ihre Ausstellungen werden häufig für den Raum entwickelt. Es ist Kunst zu sehen, die vom Betrachter ein hohes Maß an Reflektion erfordert. Unser Wahrnehmungsprozess umfasst stets eine sinnliche und eine reflektive Ebene. Stehen die unterschiedlichen Erkenntnisformen gleichberechtigt nebeneinander, wollen Sie gewichten oder geht es Ihnen im Sinne Adornos um die Suspendierung der Trennung von Sinnlichkeit und Verstand?

E.Sch.: Für mich stehen beide Erkenntnisformen gleichberechtigt
nebeneinander, deswegen muss auch der Betrachter nicht unbedingt ein großes Vorwissen haben. Vieles, was wir zeigen, kann auch über eine sinnliche Ebene wahrgenommen werden. Ich vertrete Künstler, für die im Wesentlichen - wenn man das mal so vereinfacht darstellen kann - die Ausstellung das Medium ist. Unser Merkmal ist es sicherlich, eine sehr herausfordernde konzeptuelle Linie zu haben, aber was uns von vielen immer wieder unterschieden hat, ist die Tatsache, dass es uns gelungen ist, einen Markt für immaterielle und performative Werke aufzubauen.

J.Krb.: Mit der Wahl der Ausstellungsräume wird zugleich ein Statement abgegeben. Ihnen stehen in den von Arno Brandlhuber gestalteten Räumen 450 qm auf zwei Etagen zur Verfügung. Welche Räume braucht zeitgenössische Kunst?

E.Sch.: Ein wichtiges Merkmal zeitgenössischer Kunst ist, dass man sie überall zeigen kann. Nach 15 Jahren Berlin-Mitte, in ebenerdigen Räumen mit Eingang zur Straße, hatte ich das Bedürfnis auf eine Berliner Beletage. Gleichzeitig war es aber wichtig, dies nicht zu sehr zu bejahen. Die Zusammenarbeit mit Arno war deswegen auch ideal, weil er so perfekt versteht mit diesen architektonischen Widersprüchen umzugehen und radikal was dagegen zu setzen.

J.Krb.: »How much« - ist die wohl am häufigsten gestellte Frage im Kunstbetrieb. Galerien wollen und müssen verkaufen. Derzeit scheint sich alles nur noch um rote Punkte zu drehen. Ich denke, dass die Kunst mehr und mehr erkämpfte Freiräume aufgibt. Deskriptive und normative Kategorien vermischen sich, monetäre Erfolge ziehen kunstgeschichtlichen Glanz nach sich. Somit ist die Balance von wahrer Kunst und Kunst als Ware längst ins Trudeln geraten. Dreht sich alles nur noch um die Ware Kunst, ist die wahre Kunst ins Abseits geraten, differenzieren Sie zwischen der Kunst als Ware und wahrer Kunst?

E.Sch.: Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube eher, dass Menschen, die aus Glauben an die Sache, aus intellektueller Integrität oder politischer Haltung nicht den finanziellen Reizen dieser Welt erlegen sind und sich womöglich selber ausbeuten, um den Traum in und mit der Kunst arbeiten zu können – dadurch aber oft in sehr prekären finanziellen Verhältnissen leben müssen – von der Presse als zu unsexy erachtet werden, um über sie zu berichten.

J.Krb.: Rankings über Rankings: die besten Köche, die besten Restaurants, die am besten bzw. am schlechtesten gekleideten Politiker. Da will der Kunstbetrieb nicht im Abseits stehen: So gibt es hier eine watch-list, dort eine short-list, hier ein Ranking der besten Künstlerinnen und Künstler und last but not least ein Ranking der umsatzstärksten Galerien. Larry Gagosian führt mit einem Umsatz von 925 Millionen Dollar, der in den elf Niederlassungen der Galerie erwirtschaftet wurde. David Zwirner liegt mit 225 Millionen Dollar Umsatz auf Platz fünf und gleichauf mit der Galerie Hauser & Wirth. Müssen Sie Kunsthändler werden, um in diese Liga aufzusteigen, hat das Ganze überhaupt noch etwas mit dem zu tun, wie Sie Ihre Galeriearbeit begonnen haben?

E.Sch.: Auch hier sprechen wir nicht von einem neuen Phänomen. Es gab schon immer große Häuser die den Markt bestimmt haben, und damit auch das Auge und die Geschichte. Die Händler, die dafür gesorgt haben, dass Meisterwerke, dass europäisches Kulturgut die Schlösser Europas für die Häuser der neuen Reichen in Amerika verließen, haben nicht nur Waren verscherbelt, sondern Geschichte geschrieben und umgeschrieben. Es wurden Kunsthistoriker beschäftigt die Werke zu analysieren, zu bewerten, und zu kontextualisieren. Künstler wurden neu entdeckt. Sicherlich haben sich die Proportionen geändert, aber auch die Zahlen sind allgemein zugänglicher und vor allem das Letztere ist neu, die Zahlen, die Preise und damit das Rating, die Listen, die Kommentare, die Meinungen, die Geschwindigkeit der Information. Viel bedenklicher ist vielleicht das heute stattfindende rasante Schwinden eines stabilen Mittelstands: nicht nur in Europa, sondern auch in Nordamerika. Dieser enorme gesellschaftliche Wandel wird große Auswirkungen haben. Das ist aber ein Thema für sich.

J.Krb.: Wie fällt Ihr Blick von außen aus, wenn Sie von Berlin auf das Rheinland schauen?

E.Sch.: Ich bin eine Migrantin. Ich bin aus Liebe mit 18 von Paris nach Köln gezogen, und bin dann wieder für zwei Jahre nach Frankreich zurück, bevor ich 1989 in Köln die Galerie aufgemacht habe. Ich habe dort weder Verwandte noch besonders viele Freunde, und ich habe mich dort immer fremd gefühlt. Wir haben schon 1994 einen Raum in Berlin gehabt und sind Ende 1996 ganz nach Berlin gezogen. Inzwischen bin ich hier zu Hause.

Joachim Kreibohm