vergriffen

Artist Ausgabe Nr. 102

Portraits

Nadira Husain | Thomas Baldischwyler | Elizabeth Price | Reinhold Budde | Berlinde de Bruyckere

Interview

Esther Schipper

Page

Matthias Ruthenberg

Thema

Korpys/Löffler/Schmal, Geist, 2014, Reste der zerstörten Fettecke von Joseph Beuys (1982, Raum 3, Staatliche Kunstakademie Düsseldorf), Geist 50% Vol., Edition 1/16, © VG-Bild-Kunst, Bonn 2014

Textauszug

»Zwischen Copyright und Anverwandlung. Darf Kunst aus Kunst ents
Kunst darf alles? Von wegen! Mehr denn je ist sie von einem komplexen System juristischer Regelsysteme umwoben. Eigentlich wünschenswerte Schutzmechanismen wie Bild-, Wort-, Ton- und Folgerechte sind längst zu einem Korsett geworden. Parallel zur immer höheren finanziellen Wertzuschreibung braucht der Kunstbetrieb in Produktion und Distribution anwaltlichen Rat nach nationalem und – da zunehmend von angelsächsischen Normen bestimmt – auch internationalem Recht. Eifersüchtig sitzen Künstler und Produzenten, Nachlassverwaltungen und Stiftungen auf ihren Pfründen und verteidigen sie bärbeißig. Was Leistung schützen sollte, schützt nun oft hemmungslose Spekulation. Zitate und Reverenzen sind außerhalb der Hochschulen und im Grauraum der
Off-Kunst meist unbezahlbar und kaum noch möglich.

Die Düsseldorfer Fettecke ist legendär, über ihre Zerstörung 1986 und ihren rechtmäßigen Besitz kam es zu einem Prozess über mehrere Instanzen, an dessen Ende Johannes Stüttgen eine Entschädigung von vierzigtausend D-Mark und die Reste der Installation zugesprochen wurden. Diese Überbleibsel hütete er solange, bis 2014 die Idee an ihn herangetragen wurde, die ehemalige Fettecke zu einem Schnaps zu verarbeiten. Auch wenn das technisch machbar ist, indem ein alkoholischer Aufguss destilliert wird, darf das sein? Und macht das, was Eva Beuys prompt eine »Unglaubliche Unverschämtheit« bezeichnet hat, wirklich Sinn? Das in Bremen und Berlin lebende Künstlerduo Andree Korpys und Markus Löffler und der Bremer Künstler und passionierte Brenner Dieter Schmal eint ein sehr spezifischer Umgang mit den »Geistern« der Vergangenheit. Und sie haben Erfahrung in der Verarbeitung von bloßen Bedeutungen zu verflüssigtem Geist. So destillierten sie bereits eine Schokoladenbüste von Dieter Roth und den schweißigen Geruch einer Vernissage, ein Photo von Marcel Duchamp oder die Originalausgabe des Katalogs zu Harald Szeemanns legendärer Berner Ausstellung »When Attitudes Become Form« aus dem Jahre 1969. Dabei ist letzteres schon im Spiel mit dem Titel eine verblüffende Materialgewinnung, die ein wenig an die Tätigkeit der Alchemisten erinnert. Kein Wunder, dass die »Vergeistigung« der Fettecke anlässlich der großen Ausstellung »Kunst und Alchemie« im Rahmen der Quadriennale 2014 in Düsseldorf durchgeführt wurde.

Im Falle der Aktion von Korpys/Löffler & Dieter Schmal konnte ein Kompromiss mit dem Beuys-Nachlass erreicht werden, der sich
wesentlich nur auf Änderungen am Etikett der Flasche bezieht. So bleibt auch diese Essenz der Kunstwelt erhalten. Das Überführen der Reste eines alten, ortsspezifischen, schon längst zerstörten realen Kunstwerks in einen »Geist« ist über die schon im semantischen Feld gegebenen Wortspiele hinaus eine gute Demonstration: Gleichzeitig maximal abstrakt und in der tatsächlichen Erscheinung als Spirituosenflasche ganz konkret kann die Fettecke wieder wirken. Das ist kein Angriff auf die Arbeit des Meisters, sondern ein kreatives Kompliment und ein Echo des Werkes des an ritualisierten Verbreitungsprozessen und thermischem Umgang mit Material durchaus interessierten Joseph Beuys.

Kunstkonzepte als Schnaps zu genießen, heißt nicht nur, sie zu begreifen, sondern sie sich einzuverleiben. Das hat doch eine bemerkenswerte Intensität – gleich ob es nun erlaubt ist oder nicht. Aber nicht, dass das etwa jetzt jemand kopiert!

Hajo Schiff