Artist Ausgabe Nr. 72

Portraits

Oliver van den Berg | Josephine Meckseper | Yves Netzhammer

Interview

Julian Heynen

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Andreas Schimanski

Polemik

Stephan Berg

Künstlerbeilage

Rüdiger Stanko

Interview

Dr. Julian Heynen, Künstlerischer Leiter K 21, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Foto: Albrecht Fuchs

Textauszug

Julian Heynen
J.K.: Ist das Museum kultureller Gedächtnis- speicher, Ausstellungsmaschinerie, Gegenpol zu den flüchtigen Events, Ort der Aufklärung. Wie definieren Sie Funktion und Aufgabe des Museums heute?

J.H.: Ja, Gedächtnisspeicher, Ort des kritischen Vergleichs, der Emanzipation der Subjekte, der Aufklärung, all das sollte das Museum sein. Aber das Publikum, die Medien und die Politik haben das zu guten Teilen vergessen. Lifestyle ist eben gemütlicher als Kunst. Ich glaube persönlich, dass ein wesentlicher Schlüssel, das Museum wieder als einen Ort nachhaltiger Erlebnisse zu etablieren, die Bildungsarbeit ist. Über den Daumen gepeilt sollten die Museen hierzulande ihren Bildungsetat verdreifachen und ihre Programme und Methoden massiv ausweiten und differenzieren. Da kann man viel von anderen Ländern lernen.

J.K.: Neben Einzelpräsentationen mit Martin Kippenberger, Gregor Schneider, Luc Tuymans und Heimo Zobernig setzen Sie auf thematische Ausstellungen wie »Talking Pictures«. Rückt die Kunst als ästhetisches Feld mit ihren Veränderungen in den Fokus Ihrer kuratorischen Überlegungen oder sind es politische, ökologische, philosophische Fragestellungen, die das Konzept der Themenausstellungen prägen?

J.H.: Das Thematische an thematischen Ausstellungen ist das, was man im Pressetext oder im Katalog beschreiben kann, u. a. aus historischer, sozialer, medialer, theoretischer Perspektive. Die Ausstellung selbst jedoch muss etwas anderes sein, sie muss aus der Überzeugungskraft der einzelnen Kunstwerke und ihrem sinnlichen und intelligenten Zusammenspiel erwachsen. Ausstellungen müssen, wenn sie gut sein wollen, klar machen, dass sie ein Medium sui generis sind. Ausstellungen als Illustrationen finde ich meist völlig langweilig und manchmal einfach peinlich, weil ich über die außerkünstlerischen Probleme besser in der Zeitung oder sonstwo unterrichtet werde.

J.K.: Stets entscheiden Sie sich für oder gegen bestimmte künstlerische Positionen. Vor welchem historischen Panaroma hat sich die Kunst zu behaupten. Welchen Stellenwert hat hier die Kunstgeschichte, wie greifen Gegenwart und Vergangenheit bei Ihren Entscheidungen ineinander?

J.H.: Wer sich mit sogenannter zeitgenössischer Kunst beschäftigt, kann das sinnvoll nur tun, wenn er etwas von der Vorgeschichte weiß. Und die kann schon einmal hundert Jahre und mehr zurückreichen. Ansonsten ist er nur Novitäten- beschaffer. Richtig spannend wird es erst, wenn man für alle Kunst offen ist, sich auch mal alte Niederländer oder chinesische Tuschemalerei ansieht. Die Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Kunst kommt ohne ein solches breites Umfeld an Interessen und Wissen nicht aus. Aber gleichzeitig muss man das wirklich Neue, das Gegenwärtige oder vielleicht sogar das Visionäre spüren können. Intuition nach vorne wächst aus langem Training mit allen möglichen Arten von Kunst und daraus, die Kunst mit dem Rest der Welt von heute in Beziehung setzen zu können.

J.K.: Ohne Sammler läuft derzeit im Kunstbetrieb so gut wie gar nichts. Eine Spezies, die in die Kritik geraten ist. Sammler benutzen die Museen als Durchlauferhitzer und Zwischenlager für den Markt, diktieren den Museen ihre Bedingungen, halten Verträge nicht ein, lassen sich als Mäzene hofieren, sind aber primär an Wertzuwachs interessiert - so lauten die Vorwürfe. Gibt es wenige schwarze Schafe oder ist es wie im Radsport?

J.H.: Wenn man sich das Treiben heute so anschaut, ist man geneigt, aus terminologischen Gründen vorsichtshalber erst einmal nur von Kunstbesitzern und nicht immer gleich schon von Sammlern zu reden. Letztere gibt es natürlich durchaus, und bisweilen kann es auch zu sinnvollen Kooperationen mit Museen kommen. Nachdem das Land Nordrhein-Westfalen 2004 die Sammlung Ackermans erworben hat, haben wir die intensive Zusammenarbeit mit den beiden anderen Sammlern unserer Anfangsjahre (Speck und Schürmann) im gegenseitigen Einvernehmen auslaufen lassen. Es gab übrigens auf unseren Wunsch hin immer nur zeitlich eng begrenzte Verträge mit den Sammlern. Reiner Speck und Wilhelm Schürmann haben aber gewiss seit Jahrzehnten bewiesen, dass sie auf ihre jeweilige Art zum Typus des Überzeugungstäters gehören, der die Kunst sinnlich, intellektuell und seelisch ganz einfach braucht und anderen Interessantes darüber mitzuteilen weiß.

Joachim Kreibohm