Interview

Textauszug

Rolf Hengesbach
Nochmals zum Stellenwert der Kunst heute. Erwartungen und Hoffnungen werden gegenüber der Kunst formuliert, Vorschriften erlassen. Die Kunst habe soziale Dimensionen aufzugreifen und solle politisch korrekt sein, die Kunst solle der Emanzipation dienen oder sei ohnehin die Fortsetzung der Philosophie. Ich stehe dieser Instrumentalisierung und ebenso der Omnipotenz, die ihr zugeschrieben wird, recht skeptisch gegenüber. Warum kann die Kunst zunächst nicht einfach nur Kunst sein?

Ich teile ihre Zweifel an der These der Omnipotenz und die der Instrumentalisierungsmöglichkeit der Kunst. Aber auch die Philosophie, obwohl sie sich mit der abstrakten Verfassung der Ganzheitlichkeit unserer Welt und mit den Konzepten auseinandersetzt, die wir zur Handhabbarmachung der Weltlichkeit unserer Welt entwickelt haben, hat deswegen keine Omnipotenz. Sie fragt systematisch und historisch nach dem Ursprung und dem Verhältnis solcher Konzepte und muß versuchen, Verkrustungen und Verfestigungen solcher Denkkonzepte aufzuweichen und damit Raum schaffen für eine Vitalisierung des Denkens. Es zeigt sich, daß die Philosophie im 20. Jahrhundert kaum noch in der Lage ist, mit ihren begrifflichen Konzepten der vielfältig und komplex sich entwickelnden Welt gerecht zu werden. Ich habe sehr stark den Eindruck gewonnen, daß die Philosophie sich nur noch mit ihren eigenen Begriffstraditionen beschäftigt. Das ist der Grund gewesen, mich stärker der Kunst zuzuwenden. ...

...Stets tauchen ähnliche Galeriekonzepte auf. Das Konzept der großen Namen, das der Förderung regionaler Künstler, das der breiten Palette, das der Richtungs- und Programmgalerie. Und Ihr Konzept?

Wesentlich ist mir, Ausstellungen zu machen, die von ihrer Ästhetik, von ihrer Präsentation der Arbeiten ein Optimum an Aussagemöglichkeiten des ausstellenden Künstlers bringen. Ich hoffe, daß sich dann in der Abfolge von Ausstelungen eine solche Intensität einstellt, die zu einer Auseinandersetzung mit unserer Identität in Bezug auf unsere Welt und den Zweifeln an bzw. den Brüchen etwas exemplifiziert werden. Bei Programmgalerien zeigt sich, daß für deren Programme die Kunstkritik bereits irgendwelche Label Gefunden hat. Ich habe kein Interesse, mir selbst ein Label anzuheften und will mich auch nicht aufgrund äußerer Merkmale, nur Video, nur Malerei, nur Skulptur, in eine bestimmte Ecke drängen lassen. Icht stelle hier alle Gattungen aus, weil ich meine Zweifel habe, ob solche Gattungen in irgendeiner Weise schon Substantielles aussagen. Auch hielte ich es für ganz falsch, in der derzeit schwierigen Lage, sich wieder auf einen lokaleren oder nationaleren Bereich der Kunst zu konzentrieren. Statt dessen finde ich es interessant, wie Künstler unterschiedlicher Generationen, die in unterschiedlichen Medien arbeiten, gewisse Nähen oder Affinitäten in ihrem Werk zueinander haben können. ...

...In einer Ihrer Mitteilungen ist die Rede davon, \"Kunst wieder mehr zu einer stillen und konzentrierten Auseinandersetzung zurückzubringen, in der sie selbst und das Gespräch im Vordergrund steht\". Ist diese Haltung ein Eingeständnis des Scheiterns der 60er Vision, Kunst sei für alle da und eine Ablehnung des aktuellen Trends, Kunst als Erlebniskultur zu verstehen?

Ich denke nicht, daß der 68er Anspruch \"kunst für alle\" funktioniert hat. Kunst ist wirklich nur eine Sache für einen relativ kleinen Kreis von Engagierten, von Leuten, die sich sehr intensiv mit Kunst und auch mit ihren Lebensfragen und Lebensrealitäten auseinandersetzen. Das macht nicht jeder, es will sich auch nicht jeder verunsichern lassen und möchte nicht in seiner lebensmäßigen Stabilität noch weiter befragt werden. Qualitätsvolle Kunst erschließt sich nicht in seinem einmaligen Besuch einer Ausstellung. Hingegen ist das bloße Kulturerlebnis etwas, das nach dem Erleben abgehakt ist. Dann ist aber die Kunst für mich nicht abgehakt. Wenn sie interessant ist, muß mich die Kunst weiter beschäftigen, ich muß zu ihr zurückkommen, und sie stets neu erleben. Dies sprengt ja im Grunde schon das Stichwort von der Erlebniskultur. Für die Erlebniskultur steht die Vielfältigkeit im Vordergrund und nicht die wirkliche Auseinandersetzung oder ein wirkliches Arbeiten...

Joachim Kreibohm