Artist Ausgabe Nr. 46

Portraits

LAWRENCE WEINER | JULIA SCHER | SILKE SCHATZ | DOROTHEE GOLZ | PETER FRIEDL

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Anita Leisz

Künstlerbeilage

Herwig Gillerke

Edition

Jeanne Faust

Interview

Textauszug

Alexander Schröder und Thilo Wermke
J.K.: Das Künstlerbild hat sich in den letzten Jahren entscheidend verändert. Einerseits korrespondieren diese Veränderungen mit neuen Formen der Kunstproduktion. Andererseits macht sich auch die Gesellschaft ihr Bild vom Künstler. Während in der Regenbogenpresse beharrlich das Bild des Malerfürsten hoffähig gehalten wird, stilisieren anspruchsvollere Magazine einen Künstlertypus, der eloquent als Selbstvermarkter agiert. Mal favorisiert die Gesellschaft den Künstler, der als enfant terrible zu seiner eigenen Ausstellung zu spät kommt. Oder den Künstler als Yuppie, der stolz seine Eigentumswohnung präsentiert und sich in Modezeitschriften in edlem Zwirn ablichten läßt. Im Gegensatz hierzu sind die Verschiebungen im Künstlerbild wirklich wesentlich, die sich aus den veränderten Formen der Kunstproduktion ergeben. Künstler versuchen, neue Handlungsfelder zu erschließen, werden zu Dienstleistern oder relativieren die Autorenschaft. Ist der Künstler autonomes Subjekt, Dienstleister, armer Poet, enfant terrible, Sinnstifter oder Nomade, der von Ausstellungsort zu Ausstellungsort zieht und mit dem Handy Anweisungen gibt oder ist der Künstler zum Normalo geworden, der einem ordentlichen Beruf nachgeht, zwischen werktags und feiertags unterscheidet und das Künstlerdasein nicht mehr als Berufung stilisiert?

A.Sch/T.W.: Wenn der Künstler zum Dienstleister wird, dann liefert er sich aus. Und zwar im doppelten Sinne, er bietet seine Arbeit marktgerecht an und erfüllt Erwartungen und vor allem Bedürfnisse nach Spezialprodukten, die in der ausgeformten Industriegesellschaft benötigt werden. Und er wird als Person nicht unwesentlich Selbstvermarkter, das führt - sofern wir das aktuelle Ausstellungsgeschehen betrachten - oft zu Verrenkungen, die an Clownerie grenzen. Der Künstler als armer Poet, oder um ein anderes von Ihnen benutztes Wort zu nehmen als enfant terrible entspricht ähnlichen Klischees und Erwartungshaltungen der Gesellschaft an den Künstler. Auch hier sind Künstler gut beraten entgegenzusteuern, zurückzutreten. Insofern ist also für uns der Künstler autonomes Subjekt, der versucht, diese Autonomie soweit wie möglich zu wahren, wenngleich er auch um die gesellschaftliche Bedingtheit seines Status und seiner Produktion wissen sollte. ...

...J.K.: Lange Zeit galten Sie als Geheimtip. Ihre Galerie war von Anfang an eng mit der Party- und Clubszene verwoben. Stört diese Szene inzwischen das Geschäft, haben Sie ihr Adieu gesagt und zielen auf ein seriöseres Publikum?
A.Sch/T.W.: Wir haben keiner Szene Adieu gesagt und ohnehin schon immer Wert auf ein seriöses Publikum gelegt.

J.K.: Ist in Berlin die sogenannte off-Kultur inzwischen vom Markt subsumiert oder hat sie noch selbstständigen Charakter?

A.Sch/T.W.: Das bedauerliche an besagter off-Kultur ist doch ihr Verständnis, sie wäre avantgardistisch und subversiv. Aber in Wirklichkeit bedient sie gängigen Mainstream. Wenn sich etwas in der Selbstdarstellung als Underground bezeichnet, so ist daran etwas faul. Es ist zu begrüßen, daß diese Kultur vollständig vom Markt akkumuliert wurde und sich nun Touristenströme durch Kellerclubs dränglen auf der Suche nach Authentizität und kettenbehangene, Schrott zusammenschweißende Künstler nun auf SPD-Partys herumgereicht werden.

Joachim Kreibohm