Artist Ausgabe Nr. 46

Portraits

LAWRENCE WEINER | JULIA SCHER | SILKE SCHATZ | DOROTHEE GOLZ | PETER FRIEDL

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Anita Leisz

Künstlerbeilage

Herwig Gillerke

Edition

Jeanne Faust

Portrait

Neue Straßenverkehrsordnung, 2000, Glas, Neon, 215 x 700 cm, Alte Kestner-Gesellschaft, Hannover (Ausstellung: »Gouvernementalität«), Foto: Roger M. Buergel

Textauszug

PETER FRIEDL
»Mob«. »Kill and »Go«. »2001«. »Nothing can stop us«. »La Bohème«. »Hotel Mama«. Am Anfang steht der Titel. Peter Friedl ist ein Dramatiker der Überschrift. Die Namen, die seine Werke wie Headlines mit sich führen, sind Boulevardverheißungen, zusammengeschrumpfte Suggestionen als Ankündigungen für Bühnenstücke. Jeder Titel nutzt eine plakative Rätselhaftigkeit aus, um seine Betrachter mit der gleichen Fiebrigkeit in den Bann zu ziehen, mit der sich in einem Bildungsquiz die Wissenden von den Uneingeweihten unterscheiden. Irgendeiner findet sich immer, der nicht im Bilde ist. Einer entdeckt immer ein Stück seiner Kenntnisse wieder. Die Schlagzeilen Friedls sind so bezwingend werbend, daß sie sich wie eine Leuchtschrift über die ausgestellten Gegenstände erheben. Das Publikum sieht in der trunkenen Befangenheit auf die Chiffren, mit der ein Lernbegieriger sich an Wortklängen berauscht, noch bevor er ihre Bedeutung versteht. Friedls Spezialität ist am Anfang und vor allem anderen, daß seine Titel zu enträtseln sind, daß sie Bedeutungen haben, von denen das sichtbare Kunstwerk nur am Rande weiß, daß sie eine Nachricht plakatieren, die ein Eigenleben führt. Diese Titel sind eine eigene Geschichte. Wer sie liest, ahnt, daß sie als bloße Anspielungen auf die sichtbaren Kunstgegenstände verweisen, daß es aber zwischen der dramatisch vor aller Augen ausgerufenen Werkbenennung und dem schönen, wortkargen Widerschein des Gegenstands eine ungeschlossene Lücke gibt.

Von dieser Kluft handeln Friedls Werke nicht, sie zelebrieren sie. Friedls Werke folgen einer strategischen Poetik, und die gilt genau jener angestrengten Atemlosigkeit, mit der die Betrachter vom Namen zur Bedeutung hasten. Sie handeln von der Erwartung, mit der das Publikum Kunstgegenstände sucht. Und so gibt es beides, ein Element des Hohns und das anschauliche Pathos der Schönheit in diesen Werken.

Gerrit Gohlke