Artist Ausgabe Nr. 130

Portraits

Ulla von Brandenburg | Renée Green | Alexander Steig | Harald Popp

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Anna Meyer

Interview

Roland Nachtigäller, Geschäftsführung Stiftung Insel Hombroich, © Marta Herford, Foto: theothercara

Textauszug

Roland Nachtigäller
Seit Beginn des Jahres 2022 haben Sie die Geschäftsführung der Stiftung Insel Hombroich übernommen. Nennen Sie mir zunächst Ausstellungen aus Ihren früheren Tätigkeiten, die typisch für Ihre kuratorische Praxis sind.

R.N.: Typisch ist ja schon, dass ich Begrifflichkeiten wie »kuratorische Praxis« vermeide. Ich habe mich immer vor allem als Ausstellungsmacher,als Ermöglicher und Realisator verstanden, weniger als Autor mit eigenen »künstlerischen« Ambitionen. Ich glaube, es ist heute mehr denn je notwendig zu unterstreichen, dass Ausstellungen vor allem der Kunst dienen, Werke und Projekte sicht- und begreifbar machen sollen. Sie sind nicht dafür da, dass sich Kurator*innen profilieren und über das »curated by« die reine Auswahl und den theoretischen Überbau zur maßstabsetzenden Leistung stilisieren. Vielleicht war deshalb ein Projekt wie »Farbe bekennen. Was Kunst macht« 2013 im Marta eine sehr bezeichnende Ausstellung für mich, die schon im Titel
auf die Wirkung und die Kraft der Kunst setzte – in diesem Fall hinsichtlich gesellschaftspolitischer Stellungnahmen und individueller Wirkmacht. Allein der Beitrag von Christoph Büchel, der unter dem Titel »Museumspädagogik« 50 teils überlebensgroße Skulpturen von Arno Breker zu einem engen, voll funktionierenden Bildhaueratelier im Museum arrangierte, in dem schließlich diverse Gruppen und u. a. auch Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen arbeiteten, war eine Riesenherausforderung. Büchel hat das
Museumsteam in der Vorbereitungszeit bewusst bis an die Grenzen geführt und auch der Ausstellungsbeitrag selbst ließ am Ende niemanden kalt. Nie wieder haben das Marta-Team und ich so zeitintensiv fast täglich mit dem Publikum diskutiert, persönlich, per Mail, über die Social-Media-Kanäle und in begleiteten Rundgängen – bis hin zur Überzeugungsarbeit dafür, dass eine vor dem Museum geplante Demonstration in die falsche Richtung zielen würde und schließlich auch nicht stattfand.

J.Krb.: Die Museen versuchen sich von ihrer tradierten Rolle des Bewahrens bereits gesicherter Werte zu lösen. Diese Entwicklung hat jedoch dazu geführt, dass die Museen ihr Kerngeschäft vernachlässigen, d. h. den Aufbau, die Präsentation, wissenschaftliche Aufbereitung und Pflege der Sammlung, stattdessen von Event zu Event eilen und sich in Abhängigkeit von Sammlern begeben. Für Walter Grasskamp sind Museen erfolgreiche Fehlkonstruktionen, für Wolfgang Ullrich sind Museen zu bloßen Orten des Ausstellens mutiert. Was ist heute Aufgabe und Funktion eines Museums?

R.N.: In meinen Augen haben sich die Aufgabe und Funktion unserer Museen nie fundamental geändert, nur die Mittel und Wege, diese gesellschaftliche Rolle zu leben, haben sich gewandelt. Heute kann man keine Sammlung mehr durch das charismatische Ego einer Einzelperson aufbauen, die forscht, entscheidet, kauft und vermittelt. Auch der Blick auf Gegenwart und Geschichte hat sich deutlich verändert, Kanon und Tradition werden als Orientierungsrahmen suspekt, Vielfalt und neue Perspektiven bestimmen mehr und mehr die Bewertungsmaßstäbe. Spätestens aber seit den Corona-Lockdowns der Museen und im Angesicht auch in der Kultur nicht mehr übersehbarer Forderungen nach klimaverantwortlichem Handeln erscheint die etablierte Ausstellungsmaschine Museum mit ihren Blockbuster-Ambitionen und der steten Bestätigung des bereits Geschätzten in der Krise. Ich bin mir sehr sicher, dass eine neue, veränderte Arbeit mit den Sammlungen im Dialog mit aktiven künstlerischen Interventionen und Kommentierungen neue Perspektiven eröffnet.

J.Krb.: Kultureinrichtungen tappen in eine Falle, sofern sie versuchen, ihre eigene Vortrefflichkeit anhand von Einschaltquoten zu belegen, denn der letzte Besucherrekord erfordert stets einen erneuten Rekord. Eine Endlosschleife – ewig grüßt das Murmeltier. Marketing-abteilungen entwickeln absonderliche Konzepte und Strategien, um die jeweilige Ausstellung massenkompatibel anzubieten. Überlassen Sie das Zählen Ihren Kollegen und der Politik – wie definieren Sie Erfolg?


R.N.: Im Marta haben wir – gerade auch bei erfolgreichen Projekten – sehr zurückhaltend mit Zahlen argumentiert, eigentlich zumeist aufgrund von äußerem Druck, der übrigens vor allem seitens der Medien aufgebaut wurde, so im Sinne von »Nun sagen Sie doch endlich, wie viele Menschen gekommen sind!« Insofern waren es in meiner Wahrnehmung weniger die Kultureinrichtungen, die in eine Falle tappten als vielmehr die Öffentlichkeit in Form von Politik und Berichterstattung, die diese Erdlöcher und Fußangeln bereithielt. Aber Ihre Frage zielt in meinen Augen auch auf eine vergangene Zeit: Wir werden noch staunen, wie viel Corona gesellschaftlich und individuell verändert hat, wenn sich der Rauch der akuten Pandemie verzogen hat. Ich bin mir sehr sicher (und erhoffe es eigentlich auch), dass es nie wieder so sein wird wie zuvor. Der Besuch eines kulturellen Ereignisses wird in den kommenden Jahren völlig neuen Bedingungen folgen, Motivationen und Erwartungen, die wir noch verstehen und auf die wir vor allem noch adäquate Antworten finden müssen – nicht nur institutionell, sondern auch gesamtgesellschaftlich.

J.Krb.: In einem früheren Interview sagten Sie: »Mit jedem Zugewinn an Verantwortung entfernt man sich weiter von dem, was mal am Anfang mit der ganz unmittelbaren Begeisterung für die Kunst stand: der direkte Künstlerkontakt, das Nachdenken über die Kunst und ihre Bedeutung, Forschen und Lesen, Konzipieren und Inszenieren von Ausstellungen etc.« (artist Kunstmagazin, Nr. 85, 2011, S. 17) Nun sind Sie als Geschäftsführer verantwortlich für einen rund 64 ha großen Gesamtkomplex mit Raketenstation, Kirkeby-Feld und Museum Insel Hombroich. Geschäftsführung klingt nach Verwaltung, Controlling, Bilanzierung und dergleichen. Wollen Sie widersprechen, was ist Ihre Aufgabe als Geschäftsführer?

R.N.: Der Ausschreibung meiner aktuellen Stelle liegt ein langer und wohl auch schwieriger Selbstfindungsprozess in Hombroich zugrunde. Erst einmal ist die Geschäftsführung die notwendige Leitungsfunktion einer Stiftung, die ich sehr gerne übernommen habe. Wenn sich aber eine solche Institution einen ausgewiesenen Ausstellungsmacher für diese Aufgabe wählt, so markiert dies auch die Perspektive und die Erwartungen, die sich auf meine Arbeit richten. Selbstverständlich trage ich für die organisatorischen und finanziellen Herausforderungen letztlich die Verantwortung, werde aber in diesen Fragen von einem hochkompetenten Team und einem engagierten Vorstand aufs Beste unterstützt. Meine Aufgabe konzentriert sich daher stärker auf die Zukunftsperspektive für Hombroich, auf die Strukturierung von aktuellem künstlerischem Arbeiten, Landschaftsentwicklung, Publikumsbegleitung, Archiv- und Sammlungspflege, Stipendien und Gastaufenthalten sowie der eines passenden und innovativen Veranstaltungs- und Ausstellungs-
programms. Dabei habe ich vor allem konzipierende, impulsgebende und moderierende Aufgaben, versuche den Blick fürs Ganze zu behalten und dem Kulturraum Hombroich eine kooperative, visionäre und an den Gründungsideen orientierte Zukunft zu ermöglichen. All das steht unter den Stichworten Sichtbarkeit, Zugänglichkeit und Nachhaltigkeit – Themen, die teilweise wie für Hombroich entwickelt zu sein scheinen, die aber hier neu und beispielgebend gedacht werden sollen.

J.Krb.: Der Düsseldorfer Kunstsammler Karl-Heinrich Müller (1936-2007) erwarb 1982 einen verwilderten Park an der Erft und 1994 ein weiteres größeres Areal, die ehemalige Nato-Raketenstation. Müller ist zweifellos der Spiritus Rector der Insel Hombroich. Von einem verwilderten Park zum Kulturraum Hombroich. Was sind die wesentlichen Meilensteine dieser Entwicklung?

R.N.: Tatsächlich beginnt das »Abenteuer« Hombroich mit dem Erwerb der historischen Insel Hombroich, einem im frühen 19. Jahrhundert angelegten Park an der Erft. Hier entstehen in den 80er Jahren die ersten der insgesamt elf begehbaren Skulpturen von Erwin Heerich, die Teile der Müller‘schen Sammlung aufnehmen. Aber schnell wird klar, dass dieser »Insel« genannte Teil viel zu klein ist und aus Landschaftsschutzgründen auch nur bedingt bebaut werden kann. Deshalb werden weitere umliegende, größtenteils landwirtschaftlich genutzte Flächen angekauft, die der Landschaftsarchitekt Bernhard Korte renaturiert und in eine Auenlandschaft umgestaltet. Das Museum Insel Hombroich, wie wir es heute kennen, nimmt mit dem Zwölf-Räume-Haus, der Schnecke und dem Tadeusz Pavillon schließlich Gestalt an. Bereits in den 90er Jahren beginnt unter Mitgestaltung einer zweiten, jüngeren Künstler*innengeneration die Transformation der Raketenstation in ein künstlerisch-wissenschaftliches »Labor«, einen Ort zum Arbeiten, zum Ausprobieren und für den interdisziplinären Dialog. Erst mit den spektakulären Bauten von Tadao Ando, Raimund Abraham, Álvaro Siza und Rudolf Finsterwalder, die ab 2000 sukzessive aus dem Projekt RaumOrtLabor hervorgehen, erhält das Ganze eine internationale Dimension, rücken Fragen des Ausstellens und der Zugänglichkeit für Besuchende an die Raketenstation heran. Natürlich könnte man weitere Etappen aufzählen und versuchen, die Genese von Hombroich in Namen, Bauten und Daten zu fassen. Aber wesentlich ist doch, dass sich hier seit den 80er Jahren eine Vision von der Verquickung von Kunst und Natur, später auch von Kunst und Leben entfaltet, deren Ideen seitdem von vielen Akteur*innen weitergetragen, gelebt, hinterfragt und verändert werden. Hombroich ist auch heute noch ein »offener Versuch«, ein kontinuierliches Tun, das man beschreiben kann, das man am besten aber einfach erlebt.

J.Krb.: Zur Präsentation seiner bedeutenden Kunstsammlung entwickelte Karl-Heinrich Müller gemeinsam mit den Künstlern Gotthard Graubner und Erwin Heerich sowie dem Landschaftsplaner Bernhard Korte ein Konzept unter dem Motto »Kunst parallel zur Natur«. Wird die Natur idealisiert oder ist hier ein idealer Ort zur Wahrnehmung von Kunst entstanden?

R.N.: Wenn man auf die Handschrift allein von Bernhard Korte schaut, dann erkennt man, dass er von der Idealisierung der Natur weit entfernt ist. Er ist ein Gestalter des Landschaftsraums, der diese menschliche Handschrift in all dem Wachsen auch immer sichtbar halten will. Im Verständnis der Gründerväter dient die Natur dabei eher als ein in steter Veränderung befindlicher Resonanzraum für die Kunst, die ihrerseits vom Wechsel der Betrachtenden, des Lichts, der Atmosphären und Jahreszeiten lebt. Die Parallelisierung von Kunst und Natur beschreibt damit auch das Werden und Vergehen, das Sein in sich selbst und die Suche nach einer inneren, sich selbst genügenden Ordnung in der Interaktion zwischen Welt und Mensch.

J.Krb.: Die Inszenierung von Dialogen zwischen traditioneller asiatischer und moderner europäischer Kunst ist prägend für das vornehmlich vom Düsseldorfer Maler Gotthard Graubner entwickelte Ausstellungskonzept. Hat dieses Konzept heute noch Gültigkeit?

R.N.: Graubners Setzungen bilden nach wie vor das gestalterische Rückgrat von Hombroich. Sie markieren ein Denken und Sehen, das die Kunst eng an die individuelle Erfahrung bindet und zugleich virtuos mit den Räumen, den Sichtachsen und den Korrespondenzen arbeitet. Zugleich aber haben wir als Gesellschaft das pure Staunen über vermeintlich fremde kulturelle Manifestationen hinter uns gelassen und thematisieren mittlerweile deutlich differenzierter historische Entwicklungen, soziale Interaktionen und machtpolitische Strukturen. Auch in Hombroich beschäftigen wir uns mittlerweile mit Provenienzfragen, mit Identitätskonzepten und der Zweifelhaftigkeit von Begriffszuordnungen wie »traditionell«, »modern« oder »zivilisiert«. Die inszenierten Dialoge haben nichts von ihrer Faszinationskraft verloren, aber die Fragen, die sie aufwerfen, haben sich deutlich verändert. Damit werden wir uns verstärkt beschäftigen.

J.Krb.: Ist Hombroich in unserer schnelllebigen Zeit ein Gegenpol zu den flüchtigen Massenmedien und Events – Wunschdenken oder Realität?

R.N.: Zeit hat in Hombroich sicherlich für die Besuchenden eine andere Qualität. Man sollte sie sich nehmen und sie großzügig verfließen lassen. Man kann das Zusammenspiel von Kunst und Natur, von Raum und Erfahrung eigenständig erkunden und sich treiben lassen: ohne Leitsystem, Beschilderungen oder Belehrungen. Man darf aber nicht vergessen, dass sich eine solche institutionalisierte Idee nicht außerhalb der gesellschaftlichen Realität stellen kann. Dahinter steht am Ende ein ebenso effizientes, von viel Engagement und persönlichem Einsatz getragenes Unternehmen mit Menschen, die hart und viel arbeiten müssen, um dieses kulturelle Erlebnis zu ermöglichen.

J.Krb.: Liegt Ihnen noch ein Thema am Herzen, das wir nicht diskutiert haben?

R.N.: Nach meinen ersten drei Wochen hier in Hombroich habe ich den Ort als ungemein vielfältig, inspirierend und voller großartiger Überraschungen erlebt, ein Ort, der vor allem auch von den Menschen, die hier leben, lebten und aktuell arbeiten geprägt ist. Ich werde versuchen, diese Potenziale so weit wie möglich zu stützen und zum Leuchten zu bringen. Ein Beispiel ist die aus vielerlei Gründen ein wenig übersehene Fautrier-Ausstellung, die noch bis Anfang April hier präsentiert wird und zu der gerade ein sehr schöner Katalog erschienen ist. Diese umfangreiche Werkpräsentation allein aus den hiesigen Beständen sucht wahrlich ihresgleichen und wird so bald nicht wieder zu sehen sein. Auch in Bezug auf Erwin Heerich, der in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag feiern würde, haben wir Vergleichbares vor, allerdings in einem ungewöhnlichen und überraschenden Ausstellungsformat. Auch die Literaturprojekte von Oswald Egger oder das Ende Mai stattfindende 1. Raketenfestival, das das Thema elektronische Musik nach Hombroich bringen wird, sind Setzungen, mit denen wir 2022 und in den kommenden Jahren immer wieder die Aufmerksamkeit auf diesen einzigartigen Ort lenken werden. Ich freue mich riesig darauf.

Joachim Kreibohm