Artist Ausgabe Nr. 130

Portraits

Ulla von Brandenburg | Renée Green | Alexander Steig | Harald Popp

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Anna Meyer

Portrait

/ Import/Export Funk Office, 1992–1993. Installationsansicht der Ausstellung Renée Green: Inevitable Distances in den KW Institute for Contemporary Art, Berlin 2021.
Courtesy Museum of Contemporary Art, Los Angeles, Schenkung von Gaby und Wilhelm Schürmann; Foto: Frank Sperling

Textauszug

Renée Green
Die künstlerische Arbeit von Renée Green, sie ist selbst ein »Artist of Color«, umkreist genau diese menschenverachtende »Dreiuneinigkeit« und ihre dynamischdiskursiv-ideologischen Grundlagen seit nunmehr gut 30 Jahren.

Ein relativ frühes Beispiel hierfür ist Renée Greens fünfteilige Arbeit »Color IV«, 1990: Zwei hochkant auf dem Boden stehende Holztafeln, auf denen je 13 monochrome Farbmuster auf quadratischen, streng vertikal angeordneten Blöcken aufgebracht sind. Auf letzteren steht in alphabetischer Reihenfolge zudem jeweils ein Buchstabe. Auf dem ersten Block also, er ist weiß, steht »a« zu lesen, auf dem letzten, einem in roter Farbe, dann selbstverständlich ein »z«. Neben jedem Block ist die jeweilige Tafel schriftlich benannt, so ist da etwa »schokoladenbraun« zu lesen, oder »olivgrün«. Die beiden länglichen Holztafeln, die von Ferne an ähnlich konzeptuelle Arbeiten von Joseph Kosuth erinnern mögen, thematisieren also in sachlich-unaufgeregter Schlichtheit die Beziehung von Farbe und dem symbolischen Ordnungssystem Sprache. Dank der willkürlichen Zuordnung von alphabetisch angeordneten Buchstaben und den Farben wird von der Afroamerikanerin Renée Green, die auch als Literatin und Filmemacherin arbeitet, die arbiträre Beliebigkeit dieser semantischen Beziehung, die sich eben nicht auf irgendwelche »Naturgesetzlichkeiten« berufen kann, sondern ein immanenter Bestandteil von herrschenden Diskursen ist, deutlich herausgestellt.

In der Installation »Import/Export Funk Office«, 1992, nimmt Renée Green die »Low Culture« des Hip-Hop als Ausgangspunkt für eine ästhetische Untersuchung des Zirkulierens dieser »jugendlichen« Musikrichtung zwischen den USA und Europa, von der Bronx nach Berlin gleichsam. Zudem wird hier der Shift dieser Underground-Kultur von der Straße hin zu der profitsüchtigen Unkultur der sogenannten Unterhaltungsindustrie reflektiert. Nicht nur Henry Louis Gates Jr. behauptet ja zu Recht den Rap als ein fast schon »klassisches« Beispiel für das Umfunktionieren von Sprache im Sinne einer »black voice« und den Hip-Hop als konsequente Fortsetzung dieser Ästhetik. Gemeinsam ist beiden Strategien, dass sie eben dadurch so etwas wie Authentizität gewinnen, weil sie bei ihrer Nutzung musikalischen und sprachlichen »Stoffes zweiten Grades« (Theodor W. Adorno) bewusst auf diese Authentizität (zunächst) verzichten und so den Fallstricken eines ungewollten, letztlich rassistischen Essentialismus aus dem Weg gehen.

Jüngst wurde die künstlerische Arbeit von Renée Green in Berlin parallel in Ausstellungen in den KunstWerken und der DAAD Galerie vorgestellt (von 1993 – 1994 lebte die Künstlerin in Berlin als Stipendiatin des DAAD). Unter dem Titel »Inevitable Distances« sind die beiden Ausstellungen zusammengefasst, gemeinsam ist ihnen nicht zuletzt ihr retrospektiver Charakter. Selbstverständlich wurde auch die oben beschriebene Installation »Import/Export Funk Office« gezeigt, nämlich im Zentrum der Präsentation in den KunstWerken. Zu den neueren Arbeiten, die dort an beiden Ausstellungsorten zu sehen waren, gehören die »Space Poems«, 2009. Banner aus Seide in hellen monochromen Farben sowie mit einem schmalen Rand in einer zweiten Farbe, hingen von den Decken der Räume. Auf ihnen sind kurze »Poems« zu lesen, so zum Beispiel: »After the Bourbon« oder »Begin Again Begin Again Begin Again Begin Again Begin«. Nun setzt die Künstlerin, die von 1997 bis 2002 als Professorin an der Akademie der Bildenden Künste in Wien lehrend tätig war, auf eine andere Strategie, um Sprache aus Herrschaftsverhältnissen zu emanzipieren. Nicht mehr ein Neucodieren steht jetzt auf ihrem künstlerischen Masterplan, sondern ein lyrischen Verundeutlichen. Herausgelöst aus einem sinnstiftenden Kontext gewinnen die aus diesem Prozess entstandenen Leerstellen eine so erratische wie produktive Kraft, die dem Betrachter dann ermöglichen soll, eigene, eben nicht vorgegebene Bedeutungszusammenhänge zu generieren. Mag die so gewonnene Sprache vielleicht an politischer Eindeutigkeit verlieren, so steht sie doch souverän jedweder ideologischer Bestimmtheit entgegen. In der DAAD Galerie waren die »Space Poems« kombiniert mit kleinformatigen Schwarz-Weiß-Fotografien, präzise Momentaufnahmen aus dem Alltag waren da zu sehen, Zigarettenasche auf Bettlaken, Reklame, Bücherregale, Parklandschaften - banale Szenen meist, die dennoch seltsam rätselhaft erscheinen. Poetisch – oder politisch?

Raimar Stange