Artist Ausgabe Nr. 130

Portraits

Ulla von Brandenburg | Renée Green | Alexander Steig | Harald Popp

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Anna Meyer

Portrait

Untitled, 2021, Marble fish, Inkjet print, 56 x 81 cm

Textauszug

Harald Popp
Auch der 1974 geborene Hamburger Künstler Harald Popp istein Virtuose der Vieldeutigkeit. Seine fotografischen Tableaus beruhen auf drei Säulen: Sammeln, Fotografieren, Kombinieren. Harald Popp sammelt primär Objekte, deren Funktion häufig nicht eindeutig erkennbar ist. Das können kunsthandwerkliche Objekte aus Pappmaché, Ton, Holz und Stein, aber auch Batikarbeiten sein, die eine unspezifische, häufig auch anrührende Qualität ausstrahlen. Die erworbenen Gegenstände werden unter Studiobedingungen mit den Methoden der Objekt- oder Werbefotografie fotografiert, das heißt vor neutralem Hintergrund und schattenlos ausgeleuchtet. In der Regel jedoch so, dass durch die Wahl unkonventioneller Perspektiven ein gewisser Grad der Verunklärung erzeugt wird, der diese vornehmlich im kommerziellen Kontext verwendeten Methoden wiederum parodiert. Danach werden die Objekte meist wieder in den (Gebraucht-)
Warenkreislauf eingeschleust. Was im Archiv des Künstlers verbleibt und zur weiteren Verwendung zur Verfügung steht, sind sozusagen nur noch die fotografischen Alter Egos der Objekte. Daneben sammelt und archiviert Harald Popp aber auch bereits existierende Abbildungen von prähistorischen Kultobjekten, modernistischen Skulpturen und anderen Artefakten, etwa aus Ausstellungs- und Auktionskatalogen oder Kunstbänden.

Zudem fotografiert er Architektur und andere Motive im Stadtraum. Hierbei geht er mit großer Sachlichkeit ans Werk. Er bevorzugt Frontalansichten von eher unscheinbaren Wohngebäuden und vermeidet perspektivische Aufnahmen und allzu anekdotische Elemente. Der französische Philosoph Gaston Bachelard kommt in seinem Werk »Poetik des Raumes« zu folgender Einschätzung des Hauses: »Unser Ziel ist jetzt klar: Wir müssen zeigen, dass das Haus für die Gedanken, Erinnerungen und Träume des Menschen eine der großen Integrationsmächte ist... Die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft geben dem Haus verschieden geartete Dynamismen... Es ist die erste Welt des menschlichen Seins«. Wenn Harald Popp also regelmäßig Bilder von Häusern und Objekten der Häuslichkeit benutzt, so sollte diese von der Psychoanalyse beeinflusste Betrachtungsweise des Phänomens Haus vielleicht nicht ganz außer Acht gelassen werden.

Die Arbeit »Ohne Titel, Marmorfisch« (2021) ist ein perfektes Beispiel dafür. Zu sehen ist der titelgebende Marmorfisch, ein aus buntem Marmor in verschiedenen Braunabstufungen hergestellter Fischkörper mit wulstigen, wie zum Küssen nach vorne gewölbten Lippen. Auf den ersten Blick kein besonders anspruchsvolles Artefakt. Vielleicht eher ein Souvenir aus dem Urlaub oder ein in Großserie hergestelltes Dekorationsobjekt. Allemal aber eine kleine Skulptur. Um den Eindruck des Skulpturalen noch ironisch zu verstärken, platziert ihn Harald Popp auf einer Art Sockel, der aus drei übereinander gelegten Büchern besteht, deren Rücken jedoch von den Betrachter*innen abgewandt sind. Allerdings wird der freie Blick auf den Fischkörper wiederum durch einen schwarz umrandeten Rahmen partiell verstellt, in dessen Innerem sich in Nahsicht das Bild einer etwas anderen, offenbar ebenfalls mineralischen Struktur befindet. Den rhythmisch angeordneten, buntfarbenen Streifen nach könnte es sich um den Querschnitt durch einen fleischfarbenen Amethysten handeln. Auch die silbergrauen, kristallartigen Einlagerungen sprechen dafür. Allerdings besteht auch eine gewisse Nähe zu bildgebenden Verfahren aus der medizinischen Diagnostik. Mit etwas Fantasie könnte man dieses Bild im Bild daher auch für Tumorzellen innerhalb eines ansonsten gesunden Gewebes halten.

Das mitunter verwirrende Spiel mit Vertrautem und Unvertrautem, Identität und Alterität, Korrespondenzen und Differenzen, überraschenden Konstellationen und Verweisungszusammenhängen zeichnet Harald Popps künstlerische Strategie aus. Ebenso setzt sich Harald Popp immer wieder auch mit Konventionen und Routinen des Kunstbetriebs auseinander, die er mitunter ironisch unterläuft. So spielt die 2014 entstandene und 2015 als Installation in der Hamburger Galerie Karin Günther gezeigte Serie »Untitled, 500 Copies« auf das Phänomen der in hoher Auflage gedruckten und kostenlos verschenkten »Giveaways« an. Insbesondere der auf Kuba geborene US-Künstler Félix González-Torres (1959-1997) zeigte seit Ende der 1980er Jahre seine sogenannten »Paper Stacks«, als Stapel arrangierte Offsetdrucke eigener Fotografien, die sich das Publikum durch Mitnahme kostenlos aneignen konnte.

Nicole Büsing / Heiko Klaas