Artist Ausgabe Nr. 117

Portraits

David Moses | Erika Hock | Roman Signer | Stefanie Klingemann

Interview

Janneke de Vries

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Almut Linde

Edition

Erika Hock

Interview

Janneke de Vries, Direktorin, Weserburg | Museum für moderne Kunst, Bremen, Foto: Björn Behrens

Textauszug

Janneke de Vries
J.Krb.: Längst wollen sich die Museen nicht mehr mit der tradierten Rolle des Bewahrens bereits gesicherter Werte begnügen. Dieses hat ihnen Kritik eingebracht. Den Museen wird vorgeworfen, das Kerngeschäft, die Präsentation, wissenschaftliche Aufbereitung und Pflege der Sammlung zu vernachlässigen, zu sehr auf Zeitgenossenschaft zu schielen, von Event zu Event zu eilen und sich in Abhängigkeit von Sammlern zu begeben. Was ist heute Aufgabe und Funktion eines Museums?

J.dV.: Ich denke, man kann das eine tun und muss deshalb das andere nicht lassen. Kunstwerke in Museen müssen nicht nur bewahrt und gepflegt, sondern auch in Verbindung mit dem Zeitgenössischen gebracht werden. Das Spannende ist ja, dass gute Kunst, egal wie alt sie ist, immer auch eine Bedeutung für die Gegenwart hat. Diese Bedeutung vermittelt sich aber oft nicht von sich aus. Herauszustellen, was das Bewahrenswerte ausmacht und was es mit uns heute zu tun hat, also das Tradierte mittels Gegenwart herauszufordern, ist Aufgabe der Museen. Jedenfalls für mich. Ein Vermitteln zwischen dem Bewahren und der Zeitgenossenschaft. Mit Abhängigkeiten (von Sammler/innen oder Event) hat das zunächst einmal gar nichts zu tun. Ich glaube aber auch, dass es nie die Rolle der Museen war, ausschließlich zu bewahren. Nicht jedes Kunstmuseum ist automatisch eine Nationalgalerie, die eine kohärente Geschichte ihrer Sammlung zu erzählen hat. Die meisten Häuser haben spezifische Schwerpunkte und können ihr Tun danach ausrichten. Ich denke, die Museen sind gerade an einem Punkt, an dem Gründungsbegriffen aus dem 18./19. Jahrhundert eine erneute Bedeutung zukommt: Damals war das Museum als öffentlicher Ort gedacht, an dem ein Austausch über die wichtigen Dinge der Gesellschaft möglich war, »eine Fortsetzung des Alltags mit anderen Mitteln«, wie die Direktorin der Kunsthalle Mannheim Ulrike Lorenz es nennt.(1) Michel Foucault wieder spricht von Heterotopie und meint einen Gegenort, der im Hier und Jetzt verwurzelt ist und das Hier und Jetzt kommentierend begleitet und beobachtet. Solch ein Ort ist das Museum. Heute, in Zeiten sich rasant verändernder gesellschaftlicher Verhältnisse, braucht es ihn meiner Meinung mehr denn je.

J.Krb.: Für Chris Dercon schafft das Internet ein völlig neues Publikum, das Museum verliert somit an Autorität. Nach Wolfgang Ullrich haben sich die Museen zu Orten des Ausstellens und zu Kreativitätsagenturen entwickelt, vernachlässigen aber ihre eigentlichen Aufgaben. Für Walter Grasskamp sind Museen eine erfolgreiche Fehlkonstruktion, denn weltweit werden ständig neue Museen gegründet, was für den ungebrochenen Erfolg der Museen spricht, allerdings dreht sich das Rad der Wechselausstellungen schneller und schneller und die ursprünglichen Aufgaben des Museums geraten ins Hintertreffen. Widerspruch?

J.dV.: Die Aufgaben der Museen haben sich gewandelt, weil sich unsere Gesellschaft gewandelt hat – mit der sie unverbrüchlich verbunden sind. Die Vorstellung des reinen Musentempels für eine Bildungselite, in dem ausschließlich bewahrt und geforscht wird, ist heute aus der Zeit gefallen. Genauso wenig aber macht es Sinn, sich ausschließlich auf Events und Wechselausstellungen zu konzentrieren, um zwar viele Besucher/innen anzuziehen, jedoch wenig Nachhaltigkeit zu generieren. Ich sehe aber nicht, warum man nicht beides miteinander in Einklang bringen können soll im Sinne einer intelligenten, gleichermaßen besucher- wie inhaltsorientierten Programmatik und Vermittlung.

J.Krb.: 1991 wurde die Weserburg eröffnet. Ein Museum neuen Typus, so Thomas Deecke. Ausstellungen wurden nicht entlang kunsthistorischer Linien konzipiert, sondern Privatsammlungen präsentiert. Der innere Zusammenhang, die Intensität einzelner Sammlungen, die subjektiven Vorstellungen, Werte und Qualitätsmaßstäbe des Sammlers sollten transparent und nachvollziehbar sein. »Die Sammler und ich begreifen dieses Museum nicht als eine Mogelpackung, sondern nehmen das Thema des Sammlermuseums ernst, denn das Medium der Präsentation wird auch bestimmt durch das persönliche Engagement des einzelnen Sammlers, kombiniert mit dem persönlichen Engagement des Museumsmannes.« (Thomas Deecke). Allerdings kann man sich heute an vielen Orten mit Privatsammlungen auseinandersetzen. Hat das Konzept von Thomas Deecke durch die reale Entwicklung die frühere Exklusivität verloren, verliert die Weserburg vor diesem Hintergrund ihr Alleinstellungsmerkmal – Sammlermuseum zu sein?

J.dV.: In der Beantwortung dieser Frage liegt die Zukunft unseres Hauses. Ich bewerte die Geschichte des Museums übrigens in vielen Teilen anders, als du es hier aufführst. Und genau in diesen Unterscheidungen liegt für mich die zukünftige Aufgabe der Weserburg. Die Ausstellungen seit der Gründung zeigen, dass es nie der alleinige Antrieb war, subjektive Qualitätsmaßstäbe und Vorlieben von Sammler/innen transparent zu machen. Präsentationen wie »Minimal Maximal«, »Das Nichts«, »After Images«, »Say it isn’t so«, »Freibeuter der Utopie«, »Farbe im Fluss« oder »Kaboom« haben sich auf Werke aus unterschiedlichem Privatbesitz gestützt und diese unter spezifischen Themenstellungen ausdrücklich museal, kunstgeschichtlich und kuratorisch gezeigt und kombiniert. Das ist das genaue Gegenteil von einer Konzentration auf die subjektiven Werte ihrer Besitzer/innen. Und auch ausdrücklich mehr, als dass Museumskurator/innen ihre eigene Auswahl aus einer einzelnen Privatsammlung treffen. Vielmehr fügt dieses Vorgehen einer solitären Sammler/innenperspektive die museale hinzu, erweitert das jeweilige Werk, indem nicht seine Herkunft oder die Interessen seiner Besitzer/innen im Fokus stehen, sondern seine Inhaltlichkeit und Verbindung zu kunstgeschichtlichen Linien. Diese Herangehensweise lässt sich auch auf monografische Präsentationen übertragen, wie beispielsweise in den Weserburg-Ausstellungen von WOLS oder Werner Büttner geschehen – beides Einzelausstellungen, die sich zunächst auf Arbeiten aus einer spezifischen Sammlung gestützt haben. Interessant wird es aber gerade dann, wenn dieses Konvolut mit weiteren Werken ergänzt und so ein allgemeingültiger Einblick in das Schaffen einer künstlerischen Position gegeben wird, der die Momentaufnahme eines persönlichen Interesses übersteigt. Nicht nur für das Haus, die Besucher/innen und ausgestellten Künstler/innen, auch für die leihgebenden Sammler/innen. Das sind die Wege, die wir in Zukunft verstärkt mit dem Museum gehen werden.

J.Krb.: Sanierung und Umbau stehen an. Für die Sanierung ist die Stadt verantwortlich, für den Umbau stehen rund 6 Mio Euro aus dem Verkauf des Richter-Bildes zur Verfügung. Wie ist das Zeitfenster?

J.dV.: Ohne politischen Beschluss, am Standort Teerhof festhalten zu wollen, gibt es derzeit noch kein Zeitfenster. Aber ich habe den Eindruck, dass auch der Kulturbehörde klar ist, dass dieser Schwebezustand für die Institutionen im Gebäude unhaltbar ist. Es stehen Gespräche an, die uns hoffentlich alle ein gutes Stück voranbringen.

J.Krb.: Mit der Reihe »Junge Sammlungen« hat das Museum 2014 ein neues Ausstellungsformat geschaffen. Gezeigt werden Kunstwerke aus jungen, bislang noch nicht in dieser Form an die Öffentlichkeit getretenen Privatsammlungen. Das Format Junge Sammlungen hat sich bewährt, so denke ich, und teile keineswegs die Kritik der Kunstzeitung: Ein Museum solle in erster Linie Hochkarätiges zeigen. Was hältst Du von diesem Format?

J.dV.: Es ist unbestreitbar, dass dieses Format dem Museum die lang ersehnte und dringend benötigte inhaltliche Beruhigung gebracht hat. Nach all dem Gerede um Standortverschiebungen, Abwicklungen oder Verkleinerungen hat der Erfolg der »Jungen Sammlungen« ermöglicht, dass im Zusammenhang mit der Weserburg wieder über Inhalte und Kunst gesprochen wird. Ein durch Bremen geisternder Vorwurf an das Museum war ja auch die Unterstellung, das Haus sei so obsolet, dass keine Sammler/innen mehr mit ihm arbeiten wollten. Dies haben (auch) die »Jungen Sammlungen« eindrucksvoll widerlegt. Ich würde im Hinblick auf die Reihe sogar so weit gehen, dass durch sie und die mit ihr erfolgte Beruhigung der kulturpolitischen Debatte erst möglich wurde, über eine konzeptuelle Neuaufstellung der Weserburg nicht nur nachzudenken, sondern auch auf die Offenheit zu treffen, sie umsetzen zu können. Deshalb werden wir sie fortsetzen, jedoch in einer offeneren Form, die das Format nicht mehr jährlich und auf das Attribut »jung« festschreibt. Das hat damit zu tun, dass ich es für die Zukunft der Weserburg für ausschlaggebend halte, die bereits beschriebene Fokusverschiebung von einer individuellen Sammler/innenperspektive hin zu den Werken selbst und ihren Inhalten deutlich nachvollziehbar umzusetzen. Und das bedeutet dann eben, zukünftig nicht mehr so stark auf die Werkauswahl aus einer einzelnen Privatsammlung zu setzen, sondern Werke aus unterschiedlichem Besitz unter musealen/kunstgeschichtlichen Aspekten zu kombinieren.

J.Krb.: Sonderausstellungen, Sammlungspräsentationen, Hollweg-Preis-Ausstellung sind weitere Formate. Neue Besen kehren gut, sagt man. Werden diese Formate modifiziert, fallengelassen oder bleibt vieles beim Alten?

J.dV.: Es wird natürlich auch weiter Sonderausstellungen geben, monografische wie thematische. Diese können ihren Ausgang in spezifischen Sammlungskonvoluten nehmen, die am Haus verankert sind, und von hier aus ergänzt werden. In 2019 werden wir nach diesem Muster eine Einzelausstellung des Schweizer Künstlers André Thomkins realisieren, dessen in der Sammlung Gerstner befindliche Arbeiten von weiteren Leihgaben erweitert werden. Es wird aber immer auch Wechselausstellungen geben, die sich unabhängig von den mit der Weserburg verbundenen Sammlungen entwickeln, um neue Themenfelder aufzumachen oder Kooperationen anzustoßen. In 2019 wird das zum Beispiel eine umfangreiche Präsentation der US-amerikanischen Künstlerin Andrea Bowers sein, die in Zusammenarbeit mit dem Museum Abteiberg in Mönchengladbach entsteht. Die Ausstellung der Meisterschüler/innen (verbunden mit der Vergabe des Karin Hollweg-Preises) werde ich 1 : 1 fortführen. Zum einen, weil uns diese Reihe ein junges Publikum erschließt und mir die Verbindung zur HfK Hochschule für Künste Bremen wichtig ist. Zum anderen, weil die Weserburg ein Museum in Bremen ist und sich so die Möglichkeit ergibt, sich dezidiert auch für die Kunstproduktion in der eigenen Stadt zu engagieren.

J.Krb.: Mein Wunschzettel für die Weserburg: Höherer Etat, eine stärkere Konzentration auf das Format »Ständige Präsentation«, das ein spezifisches Bild von Gegenwartskunst vermittelt und aus einer Vielzahl von Sammlungen heraus konzipiert werden sollte. Und Dein Wunschzettel?

J.dV.: Wunderbar, einen Wunsch wird dir das Museum Weserburg mit »So wie wir sind« ab März 2019 schon erfüllen: Nämlich den nach einer stärkeren Fokussierung auf eine langfristig angelegte Präsentation, die sich aus der Vielzahl der assoziierten Sammlungen speist. Auf meiner Liste von Forderungen (ich würde da weniger von Wünschen sprechen) steht definitiv auch die Aufstockung des Etats. Und eine solidarische Finanzhilfe, wenn es zum Umbau auf dem Teerhof kommt. Damit wir die eingeschlagene Linie konsequent weiterverfolgen können: Die Weserburg auf dem Teerhof ist großartig – und wir werden das unter Beweis stellen.

Joachim Kreibohm