Artist Ausgabe Nr. 117

Portraits

David Moses | Erika Hock | Roman Signer | Stefanie Klingemann

Interview

Janneke de Vries

Page

Almut Linde

Edition

Erika Hock

Essay

Roland Schappert: o. T. (TOTAL), 2018, lichtechter Print auf Aluminium, 54 x 100 cm, © R. Schappert und VG Bild-Kunst, Bonn 2018

Textauszug

»Wie eindeutig wirkt Kunst«
Sollte Kunst Stellung beziehen? Nur der Betrachter kann Stellung beziehen. Sollte Kunst eindeutig sein? Kunst ist immer eindeutig. Weder die Debatten um »Das offene Kunstwerk« (Umberto Eco, 1962) noch propagandistische und populistische Kunstvereinnahmungsversuche von welcher Seite auch immer ändern etwas an der grundsätzlichen Situation. Entweder Kunst ist Kunst oder sie ist alles andere. Klingt banal und ist längst bekannt. Trotzdem kommt es in letzter Zeit immer wieder zu der fundamentalen Verwechselung des Dargestellten mit der Darstellung, des Abgebildeten mit der Abbildung, des Vorgestellten mit der Vorstellung, des alten Scheins mit dem digitalisierten Sein etc.

Hanno Rauterberg beklagt in seinem Buch »Wie frei ist die Kunst?« (Suhrkamp Verlag, 2018) eine neue Funktionalisierung der zeitgenössischen Kunst »als Kampfmittel sozialer oder politischer Interessen« (S. 48) mit der Tendenz eines radikalen Subjektivismus zum Schutz ungezählter Minderheiten. Der Künstler werde dabei vom extremen Rand in die versöhnliche Mitte gerückt (vgl. S. 112), wobei es immer mehr darum gehe, die moralisch richtige Stellung zu beziehen, im Zweifelsfall auf Kosten der Freiheit der Kunst. Rauterberg beklagt dabei auch die Verwechselung des Dargestellten mit der Darstellung: »Aus dem uneigentlichen Sprechen der Kunst soll ein gerichtetes werden, ihr Als-ob wird nicht länger verstanden, (...). Ihre Scheinhaftigkeit unterliegt dem Verlangen nach Seinsgewissheit.« (S. 140) Er sieht als eigentliche Bedrohung ihrer Freiheit, dass »das Ungewisse der Kunst, ihre schöne, funkelnde Polyvalenz« (S. 141) schwindet. Damit geraten Rauterbergs eigene Thesen selbst inmitten jenes neuen »Kulturkampfes«, den er in seinem Buch herauszuarbeiten sucht. Die einen wollen mit der Kunst im Sinne einer richtigen und eindeutigen Darstellung des dargestellten sozialen und politischen Kontextes unmissverständlich und engagiert Stellung beziehen. Die anderen wollen die Polyvalenz und den modernen Wert der uneindeutigen Darstellung als künstlerischen Freiraum der Einbildungskraft verstanden wissen.

Roland Schappert