Essay

Reinigung der Statue »Pferd und Reiter«, 2014, von Charles Ray nach einem Farbanschlag von Umweltaktivisten im November 2022, Foto: Raimar Stange

Textauszug

Bilder/Rahmen/Stürme - Just do it
Seit gut einem halben Jahr sind sogenannte »Klimakleber« weltweit auch in Museen und Ausstellungshäusern aktiv. Sie bewerfen ein von ihnen ausgewähltes Gemälde zum Beispiel mit Ketchup oder Apfelmus und kleben sich dann demonstrativ an die Wand neben das so behandelte Kunstwerk. Auch werden von ihnen des öfteren Skulpturen mit abwaschbarer Farbe besprüht.
Doch ihre aufbegehrende Strategie ist alles andere als unumstritten, besonders in den sozialen Medien, in politisch-wertkonservativen Kreisen und dem oberflächlichen, aber beliebten Empörungsjournalismus unserer Tage wird kaum ein gutes Haar an den Aktivisten gelassen.
Dass diese Schadlosigkeit sehr wohl beabsichtigt ist, zeigt schon die Tatsache, dass die »Klimakleber« für ihre Aktionen nur Gemälde aussuchen, die hinter Sicherheitsglas geschützt sind. Und dieses trifft längst nicht auf alle Bilder zu. Jeder, der schon einmal in einem Kunstmuseum war, weiß es.
Der zivile Ungehorsam, den die Aktivisten da ganz offensichtlich ausüben, lässt dann, nicht zuletzt in der Politik, den Ruf nach juristischer Verfolgung laut werden. Genau das macht das »Klimakleben« zu der besagten »Dilemma-Aktion«, also zu einer Aktion, die dazu dient, Behörden und Justiz vor eine »Lose-Lose«-Situation zu stellen: Der Widerstand gegen die derzeitige Klimapolitik verfolgt einerseits »ein legitimes, notwendiges Ziel«, andererseits aber ist die Art und Weise, wie er hier praktiziert wird, juristisch gesehen fragwürdig, sogar von »Öko-Terrorismus« ist absurderweise die Rede. Wird dieser Widerstand der »Klimakleber« dann juristisch verfolgt, stellt sich sofort das Problem der Gewichtung dieser Aktionen: Stuft man sie als zivilen Ungehorsam ein, der dringend notwendig ist, oder ist es entscheidender die Ordnung im Museum zu schützen? - man steckt in so etwas wie einer ethischen Zwickmühle. Zudem stellt sich die Frage nach der »Gleichheit vor dem Gesetz«: Straft man demonstrierende Aktivisten ab, obwohl gleichzeitig Politiker, die nicht an dem Erreichen der in Deutschland gesetzmäßig vorgeschriebenen Klimaziele arbeiten, ungeschoren bleiben?
Eine gleichsam »domestizierte« Version des »Klimaklebens« praktiziert übrigens jetzt das Wiener Leopold Museum, das im November noch Ziel eines Bilder/rahmen/sturms gewesen ist: 15 Gemälde des Museums sind derzeit schief gehängt, um so auf die Folgen der Erderwärmung aufmerksam zu machen. Genauer: Ausgewählte Landschaftsdarstellungen wurden um etwa so viel Grad gedreht, wie die Temperatur an den auf ihnen zu sehenden Orten wahrscheinlich in den nächsten Jahren ansteigen wird. Handelt es sich da um eine so kluge wie engagierte Maßnahme oder lediglich um einen anbiedernden Beschwichtigungsversuch? Oder vielleicht um beides?

Raimar Stange