Artist Ausgabe Nr. 122

Portraits

Chris Drange | Hassan Khan | Norbert Schwontkowski | Sophie Thun

Interview

Nadja Quante

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Pia Pollmanns

Edition

Pia Pollmanns

Essay

Textauszug

Zur Kunst - Freiheit - Drei Fragmente
II. Die real-existierende Abschaffung der Kunstfreiheit wird heuer in
erster Linie im Fahrwasser des sogenannten »Rechtspopulismus«, also des weltweit grassierenden Neonationalismus, durchgeführt. Das in Europa bisher wohl eklatanteste Beispiel: Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban plant die Theaterintendanten in »seinem« Land zukünftig selbst zu ernennen. Außerdem soll ein »Nationaler Kulturrat« darüber wachen, dass die Theater des Landes nicht gegen die Interessen der Nation Ungarn und seiner ausgerufenen »illiberalen Demokratie« verstoßen.

III. Wie weit geht die Kunstfreiheit - diese Frage wird in letzter Zeit ebenfalls immer öfter gestellt, u.a. auch von den »Linken« und sogenannten »progressiven Neoliberalisten«. In diesem Sinne stand gerade die Aktion »Sucht nach uns!«, 2019, des Zentrum für Politische Schönheit (ZPS), mal wieder nicht zuletzt in den Sozialen Netzwerken, zur Disposition. Eine »Widerstandssäule« wiederholten Zuspruch aus dem Deutschen Bundestag installiert. Eine »Widerstandssäule« gleich gegenüber dem Reichstag hatte das ZPS als Protest gegen Rechtspopulismus und ihrem wiederholten Zuspruch aus dem Deutschen Bundestag installiert. Diese »Widerstandssäule spielte mit ihrem schwarz eingefass-ten Display und ihrer streng geometrischen Struktur an die Minimal Art und somit nicht zuletzt auch an das Stelenfeld des »Denkmal für die ermordeten Juden Europas« an. Doch anders als Peter Eisenmans Mahnmal besitzt diese »Widerstandssäule« einen sichtbaren Inhalt: Im Display der Säule war ein Bohrkern aus Asche und Knochen präsentiert, menschliche Überreste von Opfern des Holocaust, die von Nazi-Schergen in unmittelbarer Nähe von KZs verstreut wurden, um am Ende des Krieges Spuren zu vernichten.

Kurz und schlecht: »Sucht nach uns!« wird letztlich in die jüngere Kunstgeschichte eingehen als ein Versuch des ZPS, künstlerisch gegen den Rechtspopulismus nicht nur in Deutschland zu arbeiten, der aber von seinen Kritikern hypermoralisch und fahrlässig verhindert wurde. Der Philosoph und Kunsthistoriker Hans Ulrich Reck benannte jüngst in seinem Kunstforum-Essay »Eine neue Moral?« solch‘ selbstgerechte Verhinderungen, durchgeführt von sich kritisch und moralisch überlegen wähnenden »Tugendwächtern«, klar und deutlich als »Reinigungsabsicht« und »Zensur«. Solch »Zensoren« nun haben die Aktion des ZPS, ganz im Sinne der von Beck klug analysierten »neuen Moral«, flugs aus dem etablierten Kanon der Kunst weg »gesäubert«, dank ihres vermeintlich respektlosen Umgangs mit besagter Asche entspricht »Sucht nach uns!« nämlich nicht »einer angeblich moralisch perfektionierten und geregelten Auffassung vom sich Ziemenden« (Beck).

Raimar Stange