Artist Ausgabe Nr. 122

Portraits

Chris Drange | Hassan Khan | Norbert Schwontkowski | Sophie Thun

Interview

Nadja Quante

Page

Pia Pollmanns

Edition

Pia Pollmanns

Portrait

Stuffedpigfollies, 2007, Inkjet-Druck auf Canson-Papier, gezeichnetes und computerbearbeitetes Bild, Edition 3, Courtesy der Künstler und Galerie Chantal Crousel, Paris

Textauszug

Hassan Khan
Auf der 57. Biennale in Venedig erhielt Hassan Khan für »Composition for a Public Park« den silbernen Löwen. Das Werk des 1975 in London geborenen Künstlers sei, so lobte die Jury, »poetisch und politisch«. Man mag das eigentlich gar nicht wiederholen, so abgegriffen sind die alliterierenden Adjektive, die in jeder zweiten Kunstkritik die Arbeiten eines drittklassigen Künstlers preisen. Im Falle von Khan aber passen sie. Umso mehr er nie »politisch« mit »propagandistisch« verwechselt. Das Politische zieht in seine Werke, um mit Nietzsche zu sprechen, stets »auf Taubenfüßen« ein. Zart, unaufdringlich, unmerklich und doch stark, konsequent und unabweisbar. In dem Sinne, in dem Aristoteles den Menschen als Zoon politikon, als gesellschaftliches Wesen, bestimmt hat. Dazu kommt, um sein Werk zu charakterisieren, noch ein weiteres Epitheton, das in der heutigen Kunstbetrachtung ebenfalls fragwürdig geworden ist: das Moralische. Nicht, dass Khan es in seiner Kunst auch nur im Mindesten anstreben würde. Aber es grundiert sein Werk in geradezu klassischer Weise, weil dessen Wahrheit uns zu einsichtigeren und damit im Idealfall auch zu besseren, sprich widerständigeren Menschen macht.

Hassan Khans Ausstellung in der hannoverschen Kestner Gesellschaft heißt »Host«. Es ist seine zweite große Einzelausstellung in Deutschland nach einer ersten Ausstellung 2015 im MMK in Frankfurt am Main. »Host« lesen wir nicht nur an der Fassade des Kunstinstituts, sondern auch auf großen Farbtafeln im Inneren. Zu Recht, ist die Kestner Gesellschaft doch Gastgeber (host) für die Werke des Künstlers. Aber host ist ein ambivalenter Begriff. Im biologischen Sinne meint er den Wirt, der einen artfremdem Organismus mit Ressourcen versorgt. Wie schön, wenn das eine Symbiose ist, ein Geben und Nehmen, doch wird es sehr problematisch, wenn der Gast sich als Parasit herausstellt. »Host« (2007) heißt auch das zentrale Videowerk der Schau. Seine schwarzweißen Bildsequenzen sind schon 1997 entstanden, als der 22jährige Student Khan mit Kommilitonen eine improvisierte Performance aufnahm, bei der er jeden von ihnen getrennt zu einer spezifischen Körpersprache und Rollenübernahme animierte. Herausgekommen ist eine wilde, anarchische Szene, die zwischen Drama und Burleske, Lachen und Leiden angesiedelt ist. Eine Groteske, die von Macht und Ohnmacht, Unterdrückung und Ausbeutung handelt. Dabei verschiebt sich die Wirkung der Bilder immer ein wenig, weil sie mit einer formatidentischen, etwas länger dauernden Sequenz roter Monochrome verbunden sind, die fast unmerklich ihre Farbe wechseln. Außerdem wird das Videowerk von einer noch längeren, von Khan komponierten Tonspur begleitet. All das macht, dass die Bilder bei jeder neuen Projektion und jedem neuen Sehen immer etwas anders wirken. Wir kennen das in anderer Form aus der Filmgeschichte von dem berühmten Kuleschow-Effekt. Bei kombinierten Einstellungen ändern sich die Wahrnehmungen der Betrachter. Der Kontext schafft die Bedeutung. Und damit den Blick, den wir auf die Dinge werfen. Auch dies eine Einsicht, die von nicht geringer politischer Tragweite ist.

Daraus ist zu folgern: Wenn die Kunst heute die Groteske nutzt, um uns die Wirklichkeit deutlicher vor Augen zu führen, nutzt sie ein Dispositiv, das die Wirklichkeit bereits vielfach für sich vereinnahmt hat. Was Bertolt Brecht einst über die Fotografie schrieb, dass nämlich die einfache Wiedergabe der Wirklichkeit nichts mehr über sie aussage, weil »die eigentliche Realität in die Funktionale gerutscht« sei, ließe sich heute auch über die Groteske sagen. Was bitterer nicht sein könnte! Kunst und Wirklichkeit scheinen inzwischen oft genug darin zu wetteifern, welcher Bereich des Lebens grotesker ist. Auch diese Einsicht grundiert die Werke von Hassan Khan. »2013«, der Titel seines in 2019 gefertigten Triptychons, nennt das Jahr, in dem eine Militärregierung unter Abdel Fatah El-Sisi die Hoffnungen des arabischen Frühlings in Ägypten gewaltsam zerbrach und begrub. Die grotesken, am Computer gefertigten Collagen des Künstlers zeigen die ohne jede Achtung behandelten Kadaver von Hund, Schaf und Katze, auf unwirtlichen und verkommenen Straßen liegend. Begleitet wird ihr erbarmungswürdiger Auftritt von kulturellen Artefakten aus Museen, die der Stolz ihrer Länder sind oder es einmal waren. Sie verweisen in Form und Inhalt auf eine Humanität, die von den Tierkadavern sternenweit entfernt ist. Begleitet werden die Bilder aber auch von Texten der Computer-App, »RPLKA«, ausgeschrieben Replika, also Replik wie Antwort. Mit Hilfe eines Algorithmus beantwortet sie unsere Fragen, wobei sie uns durch jede unserer Fragen ein bisschen besser kennenlernt. Eine künstliche Intelligenz, die vorgibt, uns freundlich gesinnt zu sein, aber auch jederzeit zum »Big Brother« werden könnte.

Die vom Künstler am Computer entwickelten Fantasien eines menschenähnlichen Schweins – es steht auf zwei Beinen, gestikuliert und spricht – bezeichnet Hassan Khan als Selbstporträts. Auf jeder Zeichnung schwitzt dieses Schwein in wechselnden Choreographien Blut und Wasser, als wolle es H. W. Audens epochales Moderne-Werk »Age of Anxiety« beglaubigen. Durch das Private und Persönliche wird es nicht weniger in Panik getrieben als durch das Öffentliche und Soziale. »Which Witch« fragt es in lautmalerischem Dadaismus und meint doch sehr präzise die Hexenjagden, die sich heute vor allem in den Shitstorms der sozialen Netzwerke austoben. Oder ihm wird das eigene Bild im Spiegel zum Alptraum: »I hesitate when I meet my living face.« Man denkt an den Exorzismus, den Heiner Müller beim morgendlichen Blick in den Spiegel betrieb: »Kenn’ ich nicht. Rasier’ ich nicht.« Oder es sucht – und mit ihm sein Schöpfer – »A platform to stand on«. Nicht nur für die beiden, für jeden von uns: »Ein Ziel aufs Innigste zu wünschen.«

Michael Stoeber