Essay

Roland Schappert: o. T. (ALL), 2018, lichtechter Druck auf Aluminium, 83 x 165 cm, © R. Schappert und VG Bild-Kunst, Bonn 2019

Textauszug

»POFOBI«
POFOBI. Was ist das denn? Klingt ein wenig nach Allergie. Tut weh, kann alles sein. Oder macht Angst, führt zur Phobie. Klingt aber auch ein bisschen intersexuell. Oh, voll im Trend, muss wichtig sein. Tut mir leid, denn es bedeutet ab jetzt nur: POstFOtografische BIlder. So schnell geht das mit der neuen Etikettenbildung.

In der Tat: Es kann mitunter beängstigen, wenn Fotografie fast alles bedeuten kann. Dokumentation, Illusion, Fake, Ergebnis einer Suche, pure Fiktion, virtuell, beigemischt, unbearbeitet, kameralos, visualisierter Algorithmus, Ansicht unsichtbarer Strahlen oder einer Vermessung, Computer Generated Imagery (CGI), analog oder digitaler Budenzauber. Die Grenzen (post)fotografischer Produktionsweisen sind offen, das Verständnis dieser Bilder ebenfalls. Vor zwanzig Jahren stellte man noch die heutzutage naiv wirkende Frage, ob man Fotos vertrauen kann. Man lernte im letzten Winkel der Welt Photoshop kennen und veränderte das Abbild, als ob es darum gehen könnte, die ganze Welt neu zu erschaffen. Forderungen nach Medienkompetenz und die vorgebliche Suche nach der Wahrheit im Fotobild, all das scheint nun fast vergessen. Wir wissen inzwischen jedoch, dass wir bei der Betrachtung eines vermeintlichen Fotobildes immer Kenntnisse über seine Herstellung und Verbreitung haben sollten – Text oder Hinweisen zum Kontext unser Vertrauen schenken müssten, seitdem die Bildkonstruktion die vorgebliche Fotowahrheit restlos ersetzen kann. Oder es ist uns egal, was echt, zusammengesetzt, gefälscht oder simuliert ist, weil die Realität in unserer digitalisierten Welt eh schon untrennbar vermischt zusammengesetzt erscheint.

So können mit Algorithmen zum maschinellen Lernen auch spezifische GANs (Generative Adversarial Networks) entwickelt werden, um neue künstliche Bilder zu generieren, die vorhandenen Fotobildern sehr ähnlich sehen. Dabei wird künstlich eine Realität erschaffen, die sich einer vorgegebenen Motivwelt angleicht.

Man kann nun die Frage stellen, was all die angeführten Verfahren der Bilderzeugung an Gemeinsamkeiten aufweisen bzw. mit Fotografie als eigenständigem Medium zu tun haben. Im Moment scheint mir jedoch die Frage noch wichtiger, was diese Verfahren ausdrücken in Bezug auf die Verfasstheit unserer fragwürdigen Realitätszuschreibungen. Das erinnert mich an den letzten Satz aus »Die helle Kammer« von Roland Barthes (Original 1980, hier zitiert Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2016), der die gegenwärtige Situation einzufangen vermag, obwohl Barthes die Fotografie Ende der 1970er Jahre noch sehr konservativ als »Beglaubigung von Präsenz« (S. 97) und als »Emanation des vergangenen Wirklichen« (S. 98) bezeichnete: »Ich habe die Wahl, ihr (der Photographie, R. S.) Schauspiel dem zivilisierten Code der perfekten Trugbilder zu unterwerfen oder aber mich in ihr dem Erwachen der unbeugsamen Realität zu stellen.« (S. 131–132) Das ist der spannende Punkt, herauszufinden, was die POFOBI über unsere Realitätsvorstellungen »wirklich« auszusagen imstande sind.

Roland Schappert